Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
versuchte, Hochdeutsch zu sprechen. »Die kleine Griechin is der zu jung, wat? Sprich für dich, aber wat is mit der Älteren? Quasselt für zwei, trinkt für vier, aber hält sich frisch. Extra für dich?«
»18 Uhr 43. Es geht um Johan Land.«
»Läss dich nit ablenken, ne? Bis de ene gute Bulle?«
»Ich versuch’s. Wenn Sie mir dabei helfen.«
»Na, wenn du so freundlich fragst …«
Für Cecilie Güsgen waren Tageszeiten wichtig. Sie zeigten ihr an, wann ein Geschäft zu machen war. Mit wem sie ein Schwätzchen halten konnte. Wen sie mochte. Oder verachtete. Sie kannte Valerie Braq, »e Flaschenkind«. Aber davon gebe es jede Menge im Viertel. Nur sie, die Güsgen, sehe es ihnen an unter ihrer Solariumhaut oder ihren Kopftüchern, je nachdem. Sie wisse genau, wer von diesen gut aussehenden Mädchen mit dem Herz auf Halbmast nach Hause kam. Der Gang, die Schultern, wie sie den Kopf hielten. Und natürlich die Hände. Hände sagten alles. Wie oft sie sich ans Gesicht fassten. Prüfende Griffe. Wo saß der Bluterguss unter dem Make-up? Deutsche, Türken, es machte keinen Unterschied. Schweine gab es genug in dieser Welt. Eckensteher, die sich von der Mauer lösten, wenn ein »lecker Mädche« wie Sheila vorbeilief.
Es sei immer der gleiche Mann gewesen. Wartete, bis das junge Ding vorbeikam, und nichts wie hinterher. Zu alt, um einem Mädchen wie Sheila hinterherzusteigen. Und sie viel zu jung. Braucht man kein Bulle sein, um da was zu vermuten. »Da macht sich unsereins Sorgen. Aber dat Sheila weiß sich zu wehren. Vor kurzem hatt dä Typ ene Blötsch am Hinterkopp. Hätt ruhig noch düchtiger ausfallen können.«
»Meinen Sie Gunter Aalund? Haben Sie die Fahndungsanzeigen gelesen?«
Sie nickte. »Dä is nit ausem Veedel. Hab schon mein Fühler ausgestreck, aber an dä Kerl komm ich nit eran. Dä kriss de nit zu fassen.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Vor zwei Wochen.«
»Und da hatte er eine Beule am Kopf?«
»Jo.«
Raupach kam wieder auf Johan Land zu sprechen. »18 Uhr 43, Frau Güsgen. Es geht um den Mann im Dufflecoat. Das ist so eine Jacke mit …«
»Ich bin nit beklopp, Herr Kommissar. Obwohl ich noch nit weiß, zu wat für ener Sort Bullen de gehörs. Offen für alle Seiten, wat?«
»Ich ergreife für niemanden Partei.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.«
»Ich wohne in der Gneisenaustraße.«
»Dat is mein Revier. Wat glaubs de, warum ich überhaup mit dir rede?« Cecilie Güsgen holte ein kleines Spiralbuch aus den Tiefen ihres Strickponchos.
Die Frau hatte alles penibel notiert, in halbstündigen Abständen. Wer wann die U-Bahn betrat und verließ, mit Vor- und Nachnamen, der Himmel wusste, woher sie die alle hatte. Die Seite, die mit »19 Uhr« überschrieben war, hatte sie erst vor kurzem angelegt. Darauf befanden sich außer Johan Land viele bekannte Namen. Valerie Braq. Mattes Messkirch. Thierry Sandigmann. Judy Blaschke. Yilmaz Babacan. Überraschenderweise auch Gabor Siklossy. Vielleicht waren sie Zeugen von Martas Tod gewesen. Oder sie hatten nur das Pech, zur falschen Zeit die U-Bahn zu benutzen.
Wie auch immer: Lands Anschlag auf die Kinderspielhöhle war eine Art Übung gewesen mit einem tieferen Sinn. Er wusste genau, wer im Viertel die Bahn benutzte, hatte sich seine Zielpersonen bereits ausgesucht. Er wollte am 23. Dezember nicht nur die Allgemeinheit bestrafen, sondern ganz bestimmte Menschen.
Raupach hielt Lands Todesliste in der Hand. Die Frage war nur: Würde er daran festhalten, nach allem, was er über den Stand der Ermittlungen wissen musste? War er völlig verrückt oder nur ein bisschen? Wo versteckte er sich?
Raupach gab Photini die Liste durch. Sie hatten wieder konkrete Ziele, die Kreise wurden kleiner. Als er Frau Güsgen einen Fünfziger hinschob, rümpfte sie beleidigt die Nase. Dann ließ sie den Schein in ihrem Strickponcho verschwinden.
»Firma dankt.«
»Passen Sie auf sich auf«, sagte Raupach.
Sie wies auf einen nagelneuen Feuerlöscher. Er hing in Griffweite neben der Kasse. »Sicher dat.«
»Du hast mir meine Frau genommen!«
Speichel spritzte in Valeries Ohr. Es war wie Säure.
Die Flucht aus der Wohnung von Mattes und Thierry, eng aneinander geklammert, jeder Schritt ein gemeinsamer. Sie hatte sich gefühlt, als wollte er sie in Sicherheit bringen. Ein bisschen war es auch so.
Nach allem, was sie über das Gesetz wusste, war Johan nicht schuldfähig. Es gab viel extremere Fälle, bei denen die Täter mit ein paar Jahren
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