Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
auf etwas.«
»Warum er sich nicht gemeldet hat?«, fragte Raupach.
»Weswegen wir ihn hierbehalten dürfen.«
»Und so lange soll er sich schon mal Gedanken machen über das, was er uns nicht sagen will?«
»Genau.«
»Wo hast du ihn gefunden?«
»In einer Kneipe im Viertel. Übler Schuppen. Wenig Griechinnen.« Photini ging zur Kaffeemaschine. »Sein Dealer oder Hehler war auch da. Hat ihn nicht gerade lange in Schutz genommen.«
»Du hast etwas getrunken, Fofó, das rieche ich.«
»Einen Caipi. Berufsrisiko.«
»Diese Sauferei, wenn es eng wird. Wo soll das hinführen?«
»Meinst du Heide?«
»Uns alle. Außer Woytas.«
»Du zählst ihn zu uns?«, wunderte sich Photini. »Zum harten Kern?«
»So hart ist dieser Kern gar nicht, mach dir nichts vor. Woytas ist ein guter Mann. Das wirst du noch merken.«
»Wie kommt du denn darauf?«
»Er putzt seine Schuhe mit Spucke.«
»Mach ich auch!«
»Siehst du.«
Sie fanden tatsächlich etwas über Mio Blönner. Drei Diebstähle, kein Raub. Er schien nur mit Worten zu drohen, Gewaltanwendung wäre der nächste Schritt. Eine Lottoannahmestelle: 550 €. Der Besitzer hatte Zeitschriften eingeräumt und nicht auf die Kasse geachtet. 314 €, die Geldbörse einer Bedienung in einem Café. Und 1860 €, die Abendeinnahmen am Einlass einer Diskothek namens »Bass Club«, bei weitem der größte Brocken. Ein Angestellter des Clubs hatte den Täter verfolgt, aber nicht erwischt. Das war am 30. November gewesen. Alle Personenbeschreibungen trafen auf Mio zu – und auf viele andere Jungen in seinem Alter. Pudelmützen erfreuten sich gerade wieder einer zweifelhaften Beliebtheit.
Raupach begann ohne Photini mit der Vernehmung. Die Voraussetzungen waren ungünstig. Mio befand sich in der Defensive. Der Junge nahm sich fest vor, der Polizei nichts zu sagen. Raupach wusste aus Erfahrung, dass Mio entweder ganz schnell umfallen würde. Oder dass es sehr viel länger dauern würde. Er nahm die Kaffeekanne mit, stellte zwei Becher auf den neuen Schreibtisch und füllte sie mit der dampfenden Flüssigkeit. Der Geruch wirkte belebend. Er stellte sich vor, doch Mio erkannte ihn nicht wieder.
»Möchten Sie einen?«
»Wenn’s sein muss.« In Mios Stimme war eine Spur Erleichterung. Er nahm den dampfenden Becher und umfasste ihn mit beiden Händen.
»Gut, dass Sie mitgekommen sind.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Ich möchte mich mit Ihnen über eine ernste Sache unterhalten. Eine Sache, in der wir nicht weiterkommen.«
»Von mir aus.«
»Kennen Sie Sheila Braq?«
»Nein.«
»Die Medien bringen dauernd Suchmeldungen über sie. Das ist Ihnen vielleicht nicht entgangen.«
Mio zuckte mit den Schultern.
»Sie gehen mit ihr auf dieselbe Schule«, sagte Raupach.
»Wirklich?«
»Sie waren mit ihr Eislaufen, am 30. November.«
»Ich bin mit vielen Mädchen unterwegs. Kann mir nicht alles merken.« Ein Lachen, das männlich wirken sollte.
»Ein paar Stunden später wurden Sie im Bass Club gesehen.«
»Was ist das?«
»Eine Diskothek, die Sie um einen Batzen Geld erleichtert haben.«
»Kann ich nicht gewesen sein. Fragen Sie meine Mutter.«
»Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird«, sagte Raupach. Er hatte Frau Blönner schon verständigt. Sie hatte gebeten, den Jungen gehörig in die Mangel zu nehmen, damit er zur Vernunft kam. »Darf ich ›Du‹ sagen?«
»Wenn’s der Wahrheitsfindung dient.«
»Wo hast du denn das aufgeschnappt?« Raupach lachte. Ein Apo-Spruch aus den siebziger Jahren, vor seiner Zeit. »Hör zu, Mio. Deine Klauereien, von denen du einem freundlichen Herrn aus deiner Eckkneipe auch noch was abgeben musst, interessieren uns nicht. Das hat hier nichts verloren. Selbst wenn du es im Laufe unseres Gesprächs erwähnst, überhöre ich es einfach. Verstehst du?«
»Sie können mir viel erzählen. Ich will einen Anwalt.«
»Du kennst dich aus, Mio. Aber du stehst nicht unter Anklage.«
»Häh?«
»Du musst dich nicht verteidigen. Du sollst uns nur sagen, ob du Sheila Braq in letzter Zeit getroffen hast.«
»Warum?«
»Damit ihr nicht noch mehr zustößt.« Raupach sprach langsamer.
»Noch mehr? «
»Sie wurde vergewaltigt.«
»Sheila?«, fragte Mio ungläubig.
»Mehrmals. Oft. Immer wieder.«
»So?« Der Junge schien kurz die Fassung zu verlieren. Seine Überraschung war nicht gespielt.
»Sieht man ihr gar nicht an, oder?«
»N-nein.«
»Kannst du dich wieder an sie erinnern?«
»Nein! Ich hab mich nur
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