Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
folgte dem Mädchen.
Lili saß bereits an einem Tisch mit mehreren Jugendlichen. Die meisten Gäste waren Halbwüchsige. Trotz der Kälte draußen trugen sie ärmellose Shirts mit unmissverständlichen aggressiven Aufdrucken. Sie musterten Photini, als kauten sie auf einem zähen Stück Fleisch herum.
Prompt wurde sie angemacht. Von einem Jungen, der genug getrunken hatte, um vor den anderen seinen Mut zu beweisen. Sein Name war Jens.
Photini kam sich schrecklich alt vor. Aber sie machte gute Miene und ließ sich von Jens zu einem Caipirinha einladen – anerkennende Blicke von seinen Freunden, skeptische von dem kahl rasierten Barkeeper.
Der Billardtisch war frei. Sie schlug Jens eine Partie vor. Der Junge ging darauf ein. Er wusste noch nicht, ob er lieber spielen oder den Ernst des Lebens in Angriff nehmen sollte. Bei Fofó, wie die Frau hieß, schien er Glück zu haben. Ein Glück, auf das er nicht vorbereitet gewesen war.
Als Photini die dritte Kugel versenkte, kam Mio in die Kneipe. Verdammt, sie wusste gar nicht, wie der Schuppen überhaupt hieß. Ihr Handy hatte hier keinen Empfang. Mio setzte sich zu zwei Männern in eine Nische. Sie waren um die dreißig. Nicht der Umgang, den Jugendliche normalerweise pflegten.
Photini verlangte die Rechnung, aber der Barkeeper war verschwunden. Sie schaute sich suchend um. Einer der Männer, die mit Mio am Tisch saßen, stand auf und kam auf sie zu. Er trug eine Bomberjacke und eine schmale Brille mit blau getönten Gläsern.
»Was hast du hier verloren?«
Jens protestierte, aber der Mann brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen, worauf er sich zu seinen Freunden setzte.
»Caipi trinken?«, versuchte es Photini. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte.
»Der ist alle.« Der Mann kippte den Inhalt ihres Glases auf den Fußboden und tat überrascht. »So eine Sauerei! Kannst du nicht aufpassen?«
Der Barkeeper erschien wieder und schob einen Lappen über den Tresen. Alle Blicke richteten sich auf Photini.
»Eigentlich bin ich wegen meinem Kumpel hier«, sagte sie und deutete auf Mio. Er starrte sie verblüfft an. Von der Eisbahn schien er sie nicht wiederzuerkennen.
»Was willst du von ihm?«, fragte der Mann in der Bomberjacke, trat aber einen Schritt zurück.
»Reden. Falls ihm danach ist.«
»Woher kennt ihr euch denn?«
»Vom Schlittschuhlaufen.« Sie zwinkerte ihm zu. »Nun komm schon, Mio. Wir haben was Wichtiges zu besprechen.«
Photini drehte sich etwas zu Seite und ließ den Mann ihren Ausweis und ihr Schulterholster sehen. Darin steckte eine Sig Sauer. Sie hatte die Waffe noch nie im Einsatz benutzt. Und auch noch nicht damit gedroht.
»Vielleicht will er sich nicht mit dir unterhalten«, sagte der Mann mit gesenkter Stimme und bedeutete Mio, sitzen zu bleiben. »Wahrscheinlich muss er das auch gar nicht, sonst wärst du in Begleitung hier.«
»Ist nichts Persönliches. Es geht um eine gemeinsame Bekannte.«
»Darf man erfahren, wie sie heißt?«
»Sheila Braq.«
Der Mann dachte eine Weile nach. »Das Mädchen, das gesucht wird? Damit hat Mio nichts zu tun.«
»Mag sein. Aber er kennt sie. Vielleicht hat er etwas gesehen.«
»Bekommt er Ärger?«
Photini begriff. »Nicht, dass ich wüsste.«
Der Mann schien das Für und Wider abzuwägen. Wie viel Ärger er selber bekommen würde, wenn er dieses tat und jenes unterließ. Das hing davon ab, was er zu verbergen hatte.
»Nun mach schon, Mio«, rief er schließlich, worauf sich der Junge sofort erhob. »Und das nächste Mal passt du auf, mit wem du Bekanntschaft schließt.«
»Aber –«
»Deine Freundin wartet auf dich.«
Photini stand am Eingang.
»Mach uns bloß keine Schande!«
An Paul Wesendonk war im Grunde wenig auszusetzen. Raupach hatte seine Personalakte vor sich liegen. Er war vor Wochen nicht dazu gekommen, sie sich von Onkel Osterloh besorgen zu lassen. »Wat soll dä Käu?«, hätte Osterloh wohl gesagt und auf diese Weise zum Ausdruck gebracht, dass er Raupachs Ansinnen für Quatsch hielt.
Paul war ein guter Polizist, er hatte ihnen bei der Ermittlung geholfen, und zwar schon bevor Raupach rehabilitiert worden war. Er galt als äußerst zuverlässig, im Dienst hatte er sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Nur weil er Heide auf unsanfte Weise den Laufpass gegeben hatte, machte ihn das nicht verdächtig.
Der Ölfleck und die Abdrücke von dem Motorradständer deuteten darauf hin, dass er an der Endstation in Ossendorf gewesen sein konnte, vermutlich
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