Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
kümmern, wenn sie aufwacht. Wenn die Kleine erfährt, dass sie keinen Beschützer mehr hat …«
»Ja, entschuldige.«
»Ich habe mit dem Arzt vereinbart, dass wir zu Sheilas Schutz hier sind. Wir werden ihre Fragen beantworten, wenn sie welche hat, mehr nicht. Daran halten wir uns. Keine Vernehmung.«
»Wird gemacht.«
Endlich hob Gerlinde Kolb ab. Valerie hatte es am Tag zuvor noch zweimal probiert. Mit jeder Stunde, die Johan weg war, nahm ihre Sorge um Sheila zu. Sie hatte seit neun Tagen nichts mehr von ihrer Tochter gehört. In der vergangenen Nacht hatte sie einen schrecklichen Traum gehabt, konnte sich aber nicht mehr an seinen Inhalt erinnern, als sie schweißgebadet erwacht war.
Ihre Ängste hatten sie nicht getrogen. Sheila hatte sich nicht bei ihrer Großmutter gemeldet. Sie war nicht bei ihr angekommen. Valerie hatte keine Ahnung, wo sich das Mädchen befand.
Einen Moment lang hoffte sie, dass Sheila einfach in der Viersener Straße geblieben war. Aber was, wenn Aalund dort vorbeigekommen war und sie ihn hereingelassen hatte?
Valerie fasste ihren Entschluss schnell. Es war vorbei. Sie kehrte in die Wohnung zurück, putzte sich mit Jasminas Zahnbürste die Zähne, nahm ihr Tagebuch und ging wieder runter auf die Straße. Es dauerte quälend lang, bis sie einem Polizeiwagen begegnete. Valerie schwenkte die Arme.
»Ich werde gesucht«, sagte sie.
Woytas und Raupach verteidigten die Nachrichtensperre vor der Presse. Was sich in der vergangenen Nacht im Hafen Köln-Mülheim zugetragen habe, unterliege höchster Geheimhaltung.
»Es hat wieder gebrannt!«, sagte ein Reporter von RTL. »Was gibt es da zu verheimlichen?«
Inzwischen war die gesamte deutsche Medienlandschaft angerückt. Ausgiebig wurden wieder alle Möglichkeiten durchdiskutiert, auch die eines Terroranschlags. Raupach hatte einen schweren Stand.
»Es gab einen Brand am Wasser, das ist richtig.« Raupach wartete auf das Zauberwort.
»Der Feuerteufel hat wieder zugeschlagen!«
»Damit ist zu rechnen.« Er stand auf, wie er es mit Woytas abgesprochen hatte. »Heute Abend werden wir alle klüger sein.« Die Pressekonferenz war beendet.
Kein Wort von Aalund und Goodens. Von den unterschiedlichen Analysen des Tathergangs. Wie es dazu gekommen war, dass beide im Wasser gelandet waren. Welche Rolle Sheila dabei gespielt hatte. Woytas, Heide und Raupach hatten jeder eine andere Theorie. Klar war laut Gerichtsmedizin nur, dass Goodens ertrunken war und Aalund an einem Schlag auf den Kopf gestorben war. Durch die Löschmaßnahmen und den Rettungseinsatz gab es am Kai keine verwertbaren Spuren. Aalund konnte Sheila außer Gefecht gesetzt haben. Als er sich dann Goodens zuwandte, konnten sich die beiden gegenseitig ins Jenseits befördert haben. Goodens hatte den härteren Schlag, aber die schwächere Konstitution. Wie sich herausstellte, war er mit einer Schussverletzung in die Auseinandersetzung gegangen. Vielleicht stammte sie von den Geschehnissen an der Simonskaul.
Heide fing Raupach ab, bevor er sich an den Spießrutenlauf durch die Mikrophone und Kameras machte. Sie flüsterte ihm ins Ohr, wer sich gerade freiwillig gestellt hatte. Eigentlich hatte er vorgehabt, zum Rudolfplatz zu fahren, wo er in der leer stehenden Verkaufsstelle der Verkehrs-Betriebe eine Einsatzzentrale errichtet hatte. Jetzt musste er seinen Plan ändern. Die Überwachung der U-Bahnen und Bahnhöfe lief auch ohne ihn. Raupach ging zu Woytas, schaltete das Mikrophon aus und gab ihm Instruktionen, am Rudolfplatz zu übernehmen. Dann fuhr er mit dem Aufzug nach oben und betrat den Vernehmungsraum.
Als die Frau ihn sah, hellte sich ihr Gesicht auf. Es war nicht dasselbe Gesicht, das Raupach in Erinnerung hatte. Valerie Braq war übel zugerichtet worden. Auf einer Wange befand sich ein großer Bluterguss, ihre Augenbraue war gespalten. Ihr Blick war wach und zugleich verängstigt, als fragte sie sich andauernd, was wohl im nächsten Moment geschehen würde. Sie hatte eine Menge durchgemacht.
Jakub saß neben ihr und versorgte sie mit Sandwiches, Kaffee und anderen kleinen Annehmlichkeiten, nach denen ihr der Sinn stand. Er besaß Erfahrung mit Entführungsopfern.
»Sie lassen mich zu meiner Tochter, nicht wahr?«
»Frau Braq weiß, dass Sheila im Krankenhaus liegt«, sagte Heide und setzte sich. Neben Jakub und Raupach sollte auch ein weiblicher Polizist anwesend sein.
»Natürlich dürfen Sie zu ihr«, antwortete Raupach und legte Valerie eine Hand auf den Arm.
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