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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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Buch gekauft haben, haben auch jenes gekauft. Inzwischen hatte er eine regelrechte Datenbank im Kopf. Bei einem Verkaufsgespräch war er imstande, sie komplett abzurufen. Es war ein simples, leicht einprägsames System, mit dem sich Ordnung in das unüberschaubare Sortiment bringen ließ. Was zwischen den Buchdeckeln stand, interessierte Johan nicht. Zur Not konnte er es sich und den Kunden ausmalen.
    Die Frau mit den abstehenden roten Locken legte einen weiteren Band auf den Stapel, den sie im Arm hielt. Sie bedankte sich und ging zur Kasse. Johan bemerkte den neidischen Blick eines Kollegen von der Bestellabteilung. Der Mann konnte ihn nicht leiden, seit sie vor ein paar Monaten eine Unternehmensberatung im Haus gehabt hatten. Johans Erfolgsrate war beängstigend. Nach einer Situationsanalyse war er zum Topseller gekürt worden. Für die zum großen Teil idealistische Belegschaft war das niederschmetternd. Einer, der Bücher wie ein x-beliebiges Konsumgut behandelte, steckte seine engagierten Kollegen mit links in die Tasche. Dieser seelenlose Krämer schien nicht einmal stolz darauf zu sein, was das Ganze noch schlimmer machte. Ihm lag nichts daran, besser als die anderen zu sein. Merkte er denn nicht, welchen Druck er dadurch auf die Kollegen ausübte?
    Johan verkaufte so viele Bücher, wie er konnte. Das gelang ihm zu seiner vollen Zufriedenheit. Er ging das Taschenbuchregal mit der Belletristik entlang, stellte liegen gelassene Bücher zurück, rückte Stapel mit Neuerscheinungen gerade. Der Stoß mit einer skandalösen Promi-Biographie war schon wieder bedenklich geschrumpft. Johan kannte den Mann nicht, der ihm von dem Umschlag entgegengrinste, braun gebrannt wie ein Brathuhn. Bei solchen Büchern war glücklicherweise keine Beratung vonnöten. Er füllte den Bestand auf.
    Valerie hatte heute in der Bahn gefehlt, kam es ihm in den Sinn. Nach der letzten Nacht war sie bestimmt zu spät zur Arbeit gekommen. Das machte keinen guten Eindruck.
    Johan hatte sich vorgenommen, die Leute auf der Liste noch genauer als sonst zu beobachten. Es war nicht mehr lange hin. Mit den künftigen Ereignissen vor Augen gewannen seine Beobachtungen an Bedeutung. Wie verhielten sich Menschen, die in 22 Tagen sterben würden und es nicht wussten? Warf das Schicksal einen Schatten voraus? Gab es kleine Zeichen, die nur er zu erkennen imstande war? Die letzten Tage. Das klang nach einem guten, aber reichlich abgenutzten Romantitel.
    Durch die Presse würde sich die Situation ohne Zweifel verändern. Wenn die Zeitungen den Brief, den er an sie geschickt hatte, morgen veröffentlichten, gäbe es zwar keine Massenpanik, dafür hatte Johan das Schreiben zu allgemein gehalten. Aber Beunruhigung würde es auf jeden Fall auslösen, die Anschläge in London lagen noch nicht lange zurück. Er war neugierig, was passierte. Ob es den Menschen anzumerken war, dass sie mit anderen Gefühlen als zuvor in die U-Bahn stiegen? Schauten sie sich ausnahmsweise einmal um, bevor sie sich auf den verschlissenen Bezügen der Schalensitze niederließen? Nahmen sie mehr von ihrer Umgebung wahr als sonst? Betrachteten sie einander misstrauisch, um herauszufinden, von wem ihnen Gefahr drohte? Sahen sie unter die Sitze, um Sprengsätze ausfindig zu machen? Oder machte sein Brief sie zu einer stillen Gemeinschaft, die sich durch die angekündigte Katastrophe verbunden fühlte?
    Höchstwahrscheinlich würden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft werden. Johan stellte sich auf zusätzliche Polizeipatrouillen ein. Nicht, dass sie etwas ausrichten konnten in dem weit verzweigten, knapp dreihundert Kilometer langen Bahnnetz. Die Schienen verliefen unter- und oberirdisch, sie führten durch mehr als zweihundert Haltestellen, die S-Bahnen gar nicht eingerechnet. Eine solche Strecke ließ sich niemals flächendeckend, sondern höchstens an ein paar neuralgischen Punkten überwachen. Das weiche Ziel der Zivilisation.
    Verdächtige gab es en masse. Johan fragte sich, wie viele Fahrgäste an einem normalen Tag in der Bahn leicht entflammbares Material mit sich herumtrugen. Feuerzeugbenzin, Lack, Klebstoff, Spraydosen. Eine Flasche Brennspiritus für den Fonduetopf. Grillanzünder. Terpentin, um Pinsel auszuwaschen. Oder Bleichpulver, das im Kontakt mit Wasser brennbare Gase freisetzt. Schon mit ein paar Haushaltswaren lässt sich ein Brand entfachen, der leicht auf Textilien und Handgepäck übergreift. In dem geschlossenen Raum eines voll besetzten Wagens läuft er

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