Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
ihnen, was ihm gefiel, erforschte ihre Schwächen, ließ sie auf seine eigene Art wissen, dass es jemanden gab, der sie im Auge hatte. Ihr denkt, ihr seid eine anonyme Masse. Aber wir kennen eure Namen und eure Gesichter, eure Gewohnheiten und eure Geheimnisse. Wir wissen, wer ihr seid. Marta traf den Nagel wie immer auf den Kopf.
Als Letztes ging er ins Internet. Die Computer der beiden verfügten über alle Schikanen. Die Seiten erschienen mit einer Schnelligkeit auf dem Schirm, die ihn immer wieder erstaunte. Er rief die Online-Ausgabe des Stadt-Anzeigers auf, klickte sich durch die einzelnen Ressorts. Irgendwo musste die Meldung doch stehen, er war neugierig darauf, was sie von dem Brief abdruckten, wie er gewertet oder kommentiert wurde.
Aber da war nichts. Nicht das Geringste.
Er zog andere Internetseiten zu Rate, Zeitungen, Rundfunksender, das Lokalfernsehen. Er konnte es nicht fassen.
Sie schauen wieder weg. Fassungslos hörte er Marta zu. Sie sprach viel, seit sie gestorben war. Sie sprach, worüber sie früher geschwiegen hatte. Ihre Wörter füllten ihn aus, pflanzten sich in seinem Körper fort, brachten seinen Blick zum Verschwimmen.
Sie hatte Recht behalten. Wie konnte er bloß glauben, dass man ihnen aufgrund eines simplen Briefes Aufmerksamkeit schenkte? Er machte sich zu viele eigene Gedanken. Dadurch entging ihm, was Marta ihm mitzuteilen hatte. Er musste mehr auf sie hören, wer sollte ihm sonst die Zusammenhänge der Welt erklären, die unzähligen Intrigen und Komplotte, denen sie schutzlos ausgeliefert waren?
Aber Marta war so schwer zu erkennen in dem dunklen Tunnel. Sie saß auf den Schienen und sah ihn an, vorwurfsvoll, wie er meinte, ganz Anklage. Er spürte, wie unzufrieden sie mit ihm war. Er würde mehr schweigen müssen, um sie zu verstehen. Sie würde wieder die Entscheidungen treffen, so wie es früher gewesen war. Und auf der Grundlage ihrer Entscheidungen würde er handeln.
Er schaltete den Computer aus. Valerie wartete.
4. Dezember
In der Nacht war ein wenig Schnee gefallen. Er hatte sich niedergelassen auf Dächern, Simsen und Fensterbrettern, Kühlerhauben und Motorradsitzen, den Wartehäuschen der Busse und Bahnen. Während der Vorweihnachtszeit kam das selten vor in Köln. Die meisten Leute begrüßten die durchscheinende Watteschicht und wischten mit dem Ärmel einmal über die Windschutzscheibe, um sie zu entfernen. Manche sahen darin den Vorboten eines langen und kalten Winters.
Seit Tagesanbruch taute es, die Straßen wurden wieder schmutzig. Der Boden des Spielplatzes am Erzbergerplatz in Nippes war ein einziger Matsch.
Heide starrte die verkohlte Halbkugel an. Die Konstruktion war unter Löschschaum begraben. Am Morgen hatte die Feuerwehr angerufen. Brandrat Ahrendsen hielt Heide auf dem Laufenden, wenn es ungewöhnliche Vorkommnisse gab.
Dieses Feuer war ungewöhnlich. Eine Spielhöhle für Kinder ging nicht einfach in Flammen auf, schon gar nicht mitten in der Nacht. Neben Heide stand Brandmeister Foth. Er hatte seinen Helm abgesetzt und hielt ihn unter dem Arm.
»Sehen Sie die hohe Mauer da hinten? Sehen Sie die großen Bäume?«
Heide nickte.
»Dadurch steht das Objekt geschützt. Das Weidengeflecht blieb trotz der Witterungsverhältnisse relativ trocken.«
»Wie entstand der Brand?«, fragte sie.
»Brennspiritus. Ein Gemisch, wie man es beim Grillanzünden benutzt.« Foth wunderte sich, dass eine gestandene Kommissarin zum Brandort gekommen war. Schließlich handelte es sich nur um einen minderen Fall von Sachbeschädigung.
»Können es Stadtstreicher gewesen sein? Betrunkene, Rowdies, Vandalen?«
Ein Streifenpolizist von der Polizeiinspektion Nordwest stocherte in einem Haufen mit welkem Laub herum. Heides Assistent Höttges begleitete ihn. Mit seinem Seitenscheitel und einer leicht verbogenen Nickelbrille sah er aus wie ein Gruppenleiter bei den Pfadfindern – denen er tatsächlich angehörte. Höttges war kälteempfindlich. Er trug einen Parka, der auch für eine Expedition ins ewige Eis geeignet gewesen wäre. Der Parka war gut gefüllt, offenbar hatte Höttges seit langem eine enge Freundschaft mit Reibekuchen geschlossen. Doch für sein Körpergewicht bewegte er sich erstaunlich behände.
Sie untersuchten die Umgebung der Weidenhöhle, ein Klettergerüst, einen großen Sandkasten mit Rutsche, mehrere Schaukeln aus Autoreifen. Die beiden Polizisten fanden nichts, was auf Heides Verdacht hindeutete. Keine Bierflaschen, Zigarettenkippen,
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