Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Bild zu bekommen. Heide verlor die Geduld. »Schluss mit dem Blödsinn, Höttges! Machen Sie Bilder vom Tatort, verdammt noch mal!«
Madame Montrose gab den Helm mit einem rauen Lachen zurück. Foth nahm ihn an sich und stieg kopfschüttelnd in den Wagen. Höttges widmete sich wieder seinen Pflichten.
Heide zückte ihre Visitenkarte. »Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt. Manchmal ist es nur eine Kleinigkeit, ein merkwürdiger Schatten, ein besonderes Geräusch.« Sie musste mit solchen Appellen vorsichtig sein. Wenn man die Leute zu sehr ermunterte, bildeten sie sich alles Mögliche ein.
Madame Montrose runzelte die Stirn. »Das klingt ernster, als ich dachte. Worum geht es hier eigentlich?«
»Es könnte sein, dass derjenige, der dieses Feuer gelegt hat, in Kürze viele Menschen in Gefahr bringt«, sagte Heide diplomatisch. Sie ließ die Worte etwas nachwirken. »Das ist allerdings nur eine Vermutung. Mir wäre es lieber, irgendein Betrunkener hätte die Höhle angezündet.«
»Oh, das konnte ich nicht wissen«, antwortete die Sängerin betreten. »Dann waren meine kleinen Gags wohl fehl am Platz.«
»Das macht nichts.«
»Ich schieße immer übers Ziel hinaus.«
»Wie lautet Ihr richtiger Name?«, fragte Heide.
»Behalten Sie ihn für sich?«
»Keine Angst, ich sage ihn nicht weiter.«
Madame Montrose beugte sich herunter und teilte Heide im Flüsterton mit, was in ihrem Pass stand. Dann versprach sie, ihr Gedächtnis noch einmal zu durchforschen.
Raupach überflog Heides E-Mail und schloss das Bildschirmfenster. Es blieb bei ihrer Verabredung für heute Abend, alles Weitere im »Fall Schiller« würde sie ihm später erzählen. Und für ein Mittagessen in der Kantine fehlte ihm schlichtweg die Zeit. Er tunkte sein letztes Stück Weißbrot in eine Tupperbox mit Anchovispüree. Photini hatte es mitgebracht. Raupach mochte Sardellen. Auch eine Heringsart, dachte er, aber auf eine andere Weise salzig als Matjes. Man konnte die Sonne des Mittelmeers darin schmecken. Schwärme, die so dicht waren, dass sich die Fische gegenseitig aus dem Wasser drängten.
Raupach betrachtete den Stein auf seinem Schreibtisch. Er hatte ihn tags zuvor am Rheinufer aufgesammelt, ein großer Flusskiesel, der so ähnlich aussah wie der Stein aus seinem Gedächtnisseminar. Er sollte Raupach daran erinnern, wie schwer Urteile wogen. Und wie viele Seiten sie hatten. Heute kam es ihm so vor, als zeigte ihm der Stein nur eine einzige Seite. Eine glatte, gerade, mit der er vermutlich auf dem Uferboden gelegen hatte. Er drehte ihn um neunzig Grad und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Seit zwei Tagen saßen sie nun schon über dem Gutachten. Es hatte wieder einen bewaffneten Überfall auf eine Tankstelle am Gürtel gegeben. Drei maskierte Täter mit südländischem Akzent. Vor einem halben Jahr hatte sich in einem Baumarkt in Ehrenfeld ein ähnliches Verbrechen zugetragen. Woytas wollte wissen, ob es länger zurückliegende Überfälle gab, die nach demselben Muster abgelaufen waren.
Raupach hatte zwei im Kölner Stadtgebiet gefunden, aus den Jahren 1999 und 2001. Photini, die sich in Zusammenarbeit mit dem LKA um das Kölner Umland kümmerte, war auf zwei weitere in Frechen gestoßen. Zusammen erstellten sie operative Fallanalysen. Anhand der Videobänder von den Überwachungskameras, der Spuren am Tatort und der Zeugenaussagen versuchten sie, aussagekräftige Täterprofile zu formulieren. Das war nicht einfach. Die Zeugen widersprachen sich oder erfanden alles Mögliche dazu. Die Qualität der Videoaufzeichnungen war erbärmlich, brauchbare Spuren gab es kaum. Aber es war eine klar umrissene Aufgabe. Wenn er Woytas ein brauchbares Ergebnis lieferte, spekulierte Raupach, ständen die Chancen nicht schlecht, den Fall Babette wieder aufzurollen. Woytas war nicht undankbar.
Es ging den Tätern nicht ausschließlich um die Beute, ein paar tausend Euro. Sie wollten auch ihre Verwegenheit unter Beweis stellen. Darauf deutete die Art der Waffen hin, die sie benutzten, unter anderem eine abgesägte Pumpgun. Und zwei von ihnen ließen immer unbedeutende Kleinigkeiten mitgehen, eine Tüte Kartoffelchips oder eine Schachtel Schrauben. Demnach schienen sie relativ jung zu sein, vielleicht waren sie noch nicht vorbestraft. Der Wortführer hingegen, der die Überfälle leitete, besaß eine gewisse Erfahrung. Raupach isolierte seine Bewegungsabläufe, die Ausdrucksweise, sein Verhalten gegenüber seinen Komplizen. Dann verglich
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