Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Paul schien ihn bereits zu kennen. Als Photini sich neben ihn stellte, hatte er fast das Gefühl, wieder bei der Truppe sein. Sogleich verbat er sich diesen Wunsch. Wünsche hatten die Eigenschaft, nicht in Erfüllung zu gehen, wenn man sie aussprach oder intensiv an sie dachte. Raupach war in solchen Dingen abergläubisch.
Auf einen Wink von Himmerich betrat Woytas die Bühne. Vor einer knappen Stunde war er im Schnellverfahren zum Ersten Kriminalhauptkommissar ernannt worden. Sein Vorgänger Burgold hatte aus gesundheitlichen Gründen seinen vorzeitigen Rücktritt erklärt, auf Himmerichs Druck, wie allgemein vermutet wurde. Der Präsident setzte sein Vertrauen in frische Kräfte.
Woytas sorgte für Ruhe und drückte eine Taste auf der Fernbedienung in seiner Hand. »Wehe, wenn sie losgelassen.« Die Schrift wurde groß an die Wand geworfen.
» Wenn sie losgelassen«, kommentierte Photini flüsternd.
Himmerich stand auf, ging um den Tisch herum und trat vor die versammelte Mannschaft. »Wir haben eine undichte Stelle«, sagte er so leise, dass es kaum zu verstehen war. Er beobachtete die Polizisten. Niemand bewegte sich.
»Das schockiert Sie«, fuhr er nach einer Pause fort und redete lauter. »Ich denke, ich muss ihnen nicht sagen, welche Konsequenzen das hat. Einer von uns dient einem anderen Herrn.«
Woytas wies einen Assistenten an, Fotokopien des ersten Drohbriefs sowie eine kurze Beurteilung des Falls auszuteilen. Raupach fragte sich, warum die Unterlagen nicht mit der Dienstpost verschickt worden waren. Das Ganze wirkte wie eine Demonstration. Es sollte deutlich werden, bei wem die Fäden zusammenliefen und wer die Befugnis besaß, offizielle Schlüsse zu ziehen. Die Kommissare blätterten mit wenig Begeisterung in den Papieren. Heide las die Beurteilung. Sie stammte von Woytas. Er hatte sich festgelegt, wie sie kopfschüttelnd registrierte.
»Seit gestern liegt uns der zweite Drohbrief dieses mutmaßlichen Terroristen vor«, sagte Woytas. »Er wurde gestern auf einem Kinderspielplatz gefunden. Dort gab es ein Feuer, vermutlich hat es der Briefschreiber gelegt. Danach hat jemand den Brief verfälscht an Radio Köln weitergeleitet. Verkürzt auf die erste Zeile, um genau zu sein. Insgesamt sind es sechs Zeilen.« Er wies auf den Satz an der Wand. Der restliche Text erschien. »Wir haben uns bei den Medien erkundigt. Die haben den ersten Brief regulär mit der Post erhalten und ihn nach Absprache mit meiner Abteilung nicht veröffentlicht. Wahrscheinlich hat ihn der Täter selbst abgeschickt. Beim zweiten Brief ging er anders vor. Dieses Mal gab es nur ein Exemplar. Er hat es an der Brandstelle zurückgelassen, absichtlich, damit es von uns gefunden wurde. Gestern Abend verbreitete Radio Köln dann den ersten Satz: Wehe, wenn sie losgelassen, glücklicherweise ohne das Feuer auf dem Spielplatz zu erwähnen. Der Sender schützt seine Quelle natürlich. Aber alles deutet darauf hin, dass es jemand aus Polizeikreisen gewesen ist.«
»Um die Zusammenhänge geht es hier nur am Rande«, sagte Himmerich. »Der zweite Brief hat Wellen geschlagen. Zu einem Zeitpunkt, der für die aktuellen Ermittlungen äußerst ungünstig ist. Ich denke nicht, dass sich der Informant «, er spuckte das Wort aus wie ein knorpeliges Stück Fleisch, »hier und jetzt ausfindig machen lässt. Aber seien Sie gewarnt: Solche Eigenmächtigkeiten haben Konsequenzen.«
»Dieser Fall ist Chefsache«, bekräftigte Woytas. »Es lässt sich nicht vermeiden, dass im Hause darüber gesprochen wird, auch unter Mitarbeitern anderer Abteilungen. In einem bestimmten Umfang ist es sogar wünschenswert. Ich bin dankbar für jeden Hinweis, deshalb legen wir den Fall jetzt offen, intern, versteht sich. Wenn Sie davon erfahren, dass der Verfasser dieser Briefe weitere Schritte unternimmt, setzen Sie mich ohne Umwege in Kenntnis. Diese Anweisung gilt für alle Dienststellenleiter.« Er schaute in die Runde. »Aber wenn wichtige Indizien an Unbefugte dringen, werden wir diesem Sicherheitsproblem auf den Grund gehen.«
Raupach fing seinen Blick auf. Er wusste genau, was hier gespielt wurde. Ihm und Heide sollte klar gemacht werden, die Finger von dem »Fall Schiller« zu lassen. In aller Deutlichkeit. Hier markierte jemand sein Revier.
»Ich hoffe, wir haben uns verständlich ausgedrückt«, sagte Himmerich und setzte sich wieder. »Achten Sie auf Ihre Unterlagen, ich bitte jetzt die Presse herein. Das war alles zu diesem Thema.«
Woytas schenkte
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