Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Heide ein Lächeln, das keinen Zweifel zuließ, wen er im Visier hatte. Dann schaltete er den Videobeamer aus. Die Schrift verschwand. Himmerich gab ein Zeichen, die Flügeltüren des Konferenzraumes zu öffnen. Daraufhin strömte ein Pulk Journalisten herein und nahm an den Wänden Aufstellung. Es ging so schnell, als sei es einstudiert. Raupach staunte. Als er vor drei Jahren den Wölfen vorgeworfen worden war, hatte der Polizeipräsident noch nicht viel von Transparenz gehalten. Da hatte es nur eine knappe Pressemitteilung gegeben mit reichlich Spielraum für Interpretationen.
Die neue Offenheit hielt sich in Grenzen. Himmerich bat die Medienvertreter um Verständnis, beim aktuellen Stand der Ermittlungen keine weiteren Informationen geben zu können. Er bedauerte den Alleingang des Radiosenders, der bereits von einigen Zeitungen aufgegriffen worden war. Doch bislang waren es nur kleine Meldungen, der erste Brief wurde als Werk eines Verrückten bezeichnet und sein Inhalt lediglich angedeutet. Himmerich sprach von der Verantwortung der Medien gegenüber der Öffentlichkeit. Solange konkrete Hinweise fehlten, dürfe man die Menschen nicht verunsichern und die Polizeiarbeit nicht behindern.
»Bei Gefahr im Verzug hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Information«, wandte eine Reporterin ein. Ihre Jacke trug den Radio-Köln -Schriftzug.
»Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund«, erwiderte Himmerich. »Wie Sie wissen, muss die Polizei bei einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit Maßnahmen ergreifen, welche die Allgemeinheit möglichst wenig beeinträchtigen. In dem vorliegenden Fall setze ich auf Ihre Kooperation. Jede Form von Beachtung, die wir solchen Drohungen zukommen lassen, könnte den Täter in seinen Absichten bestärken. Unsere Politik ist es, diese Beachtung äußerst gering zu halten. Ich möchte auch ausdrücklich auf die Gefahr von Nachahmungstätern und Trittbrettfahrern hinweisen. Ein Feuer ist schnell entfacht. Wir wollen keine schlafenden Hunde wecken. Mit anderen Worten: Machen Sie sich nicht zum Büttel eines Verrückten. Wir sind der festen Annahme, dass es uns dadurch gelingt, Schlimmeres zu verhüten.«
Nach dieser Ansprache herrschte verdutztes Schweigen. Selbst Raupach fühlte sich eingelullt von Himmerichs seltsamem Gemisch aus Amtsdeutsch und rhetorischen Augenwischereien. Allerdings hatte der Polizeipräsident Woytas’ Terrorismus-Verdacht verschwiegen. Und über den Toten in der Unterführung hatte er erst recht nichts gesagt. Raupach fragte sich, ob das Wort »Unterführung« in dem gestrigen Polizeibericht überhaupt aufgetaucht war.
Ein paar Journalisten wandten sich resigniert ab. Aus Erfahrung wussten sie, dass es wenig Sinn hatte, Himmerichs Vorgehensweise in Zweifel zu ziehen. Außerdem hatte er Recht, fanden sie. Dieses Schiller-Gedicht war zu intellektuell. Wer seine Drohungen damit untermauerte, konnte nicht ernst genommen werden. In den Redaktionen gingen viel haarsträubendere und beängstigendere Briefe ein. Vor Weihnachten war es besonders schlimm. Es musste an der Leere und Einsamkeit liegen, die die Leute vor den Feiertagen auf sich zukommen sahen. Die meisten Anschläge passierten unangekündigt.
»Dann sind wir einer Meinung«, setzte Himmerich hinzu. »Sobald es etwas gibt, was eine Neubewertung der Situation nahe legt, werden Sie natürlich umgehend informiert. Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt. Vielen Dank.«
Unter dem einsetzenden Gemurmel faltete er die vor ihm liegende Zeitung zusammen und legte sie beiseite. »Und jetzt zu etwas Erfreulicherem.« Himmerich räusperte sich. Er nahm Haltung an wie der Vorsitzende einer Aktiengesellschaft, der im Begriff ist, den Teilhabern eine höhere Dividende zu verkünden. Als er sicher war, dass ihm wieder alle zuhörten, fuhr er fort. »Endlich sind wir im Fall Babette L. weitergekommen. Der Tod des Mädchens wurde 1999 als Selbstmord eingestuft, weil die Beweislage keinen anderen Schluss zuließ. Aufgrund eines brillanten Täterprofils unserer Mitarbeiterin Photini Dirou«, er machte eine Geste in ihre Richtung, die Köpfe der Anwesenden drehten sich, »gelangten wir jedoch zu neuen Erkenntnissen. Die Mutter des Mädchens hat den Mord nach einer neuerlichen Vernehmung gestanden. Morgen wird der Staatsanwalt Anklage erheben. Details über die tragischen Hintergründe dieses Falls entnehmen Sie bitte der Mitteilung unserer Pressestelle. Fräulein Dirou, Ihr Beifall.«
Dankbar für die positive Wendung dieser
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