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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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stehen und die Tanzschritte aller möglichen Sängerinnen einstudieren. Den Kleiderschrank ihrer Mütter plündern und sich gegenseitig mit schrägen Klamotten ausstaffieren. Endlos über Mio und die anderen Jungs reden, spekulieren, wie weit sie wohl gehen würden, wenn man sie gewähren ließe. Dies alles stand in krassem Gegensatz zu den Dingen, die Sheila in dem Tourbus und an anderen, verschwiegenen Orten erlebt hatte. Sheila sah diesen Dingen und ihren Urhebern jetzt ins Gesicht. Sie hatte nicht das Gefühl, dass sie dabei die Gesellschaft von Gleichaltrigen vermisste.
    Ein verlockender Geruch erfüllte die Wohnung. Sie hatte einen Marmorkuchen gebacken. Nach Rezept ging das ganz einfach. Luzius liebte Kuchen. Und Sheila liebte Luzius. Diese Worte allein auf der Zunge zu spüren. In der Vergangenheit hatte sie ihre Bewunderung auf Popstars verteilt, deren Bild sie auf ihr Handy herunterlud und von denen sie sich Fotografien im Internet besorgte. Bei Luzius war das anders. Er war real, greifbar. Sie betrachtete ihn, wie er schweigend dasaß und aß. Der Kuchen schmeckte ihm, Gabel für Gabel. Seine Bewegungen hatten etwas Gewissenhaftes an sich, er tupfte jeden Krümel mit den Fingern auf. Das brachte sie zum Lächeln.
    Als er fertig war, räumte Sheila den Tisch ab. Sie holte das Stadtmagazin. Auf dem Heimweg hatte sie es für ihren ersten Plan gekauft. »DJ Propeller« nannte Ronny sich jetzt. Wie kindisch.
    Luzius konnte den Namen mit einem Gesicht verbinden. Der DJ hatte schon einmal im Bass Club aufgelegt. »Rock ist tot«, hatte Nestor abfällig geurteilt und Ronny von der Liste gestrichen. Das Bass sei kein Altersheim. Die Stones zu spielen, egal ob die frühen oder späten, bedeutete für einen DJ das Aus.
    Sheila kannte das Gesicht auch. Es erschien kurz vor dem Einschlafen, wenn sie ihren Kopf von einer Seite zur anderen warf. Wenn sie ihn im Kissen vergrub. Wenn sie zur Decke sah. Es war ausdruckslos.
    Sie wusste eine Menge über ihn, mehr, als sie angenommen hatte. Luzius stellte ihr die richtigen Fragen. Er konnte all die kleinen Angewohnheiten entschlüsseln, denen Sheila keine Bedeutung beimaß. Im Vergleich zu Ray würde es mit Ronny viel einfacher gehen. Sie glaubte nicht, dass er imstande war, ernsthafte Gegenwehr zu leisten. Ronny hatte immer nur zugesehen. Aus ein paar Metern Entfernung beobachtet, was sie anderen mit ihr anstellten. Sein Keuchen. Ronny war kein aktiver Part. Er war Publikum.
    Gestern waren sie in der Disco gewesen, wo sie ihn anzutreffen hofften. Man kam ohne Eintritt hinein, ein billiger Vorortschuppen. Die so genannte Künstlergarderobe war eine schäbige Kammer, leicht zu erreichen über eine Treppe, die zu einem Seiteneingang hinunterführte. Es gab keine Security-Leute.
    Sheila zeichnete einen Plan, damit sie sich die Örtlichkeiten besser einprägten. Luzius legte den Zeitpunkt fest. Er erklärte, worauf Sheila achten musste. Sie sog es begierig auf. Er fragte noch einmal, ob sie unbedingt dabei sein musste. Es würde kein schöner Anblick werden. Alles andere als das.
    »Ich habe nichts als meine Augen, Luzius. Nimm sie mir nicht.«
    Das lag ihm fern. Sheila war wie ein Blitzschlag in sein Leben getreten. Der Punkt, wo sie hineingefahren war, schwelte noch. Luzius hatte ein paar Nächte wach gelegen, bis er sich an die veränderten Umstände gewöhnt hatte. Alles war dabei, sich zu verschieben, in eine Richtung, die ihm völlig fremd, aber auf eine unbestimmte Weise verlockend und zugleich folgerichtig erschien. Er erzählte dem Mädchen, wie viel er im Laufe des vergangenen Jahres von dem erahnt hatte, was im dritten Stock vorgefallen war. Sie warf ihm nicht vor, dass er nicht eingeschritten war. Wenn die Polizei angerückt wäre, hätte das Folgen gehabt, die sie sich niemals verziehen hätte. Den Kampf ihrer Mutter zu beobachten war schlimm genug.
    Er ging zu seinem Plattenspieler und legte eine Scheibe aus seiner Jugend auf. Eine Ziehharmonika fing an, ein Lied im Dreivierteltakt zu spielen. Er kannte den Text nicht, aber die Melodie war ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
    Eine Kinderwelt entstand. Sie drehte sich unablässig, verkleinerte Fahrzeuge umkreisten eine mit bunten Glühbirnen verzierte Achse. Ein Sportwagen, Motorräder und ein Autobus, die Polizei und die Feuerwehr, ohne Ziel, aber in unverrückbarer Folge. Gesichter von Jungen und Mädchen zogen vorbei, ein paar von ihnen waren der Attraktion schon entwachsen. Luzius stand daneben und achtete

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