Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Paul.
»Darf ich vorstellen«, sagte Heide ironisch, »unser neuer Mobbing-Beauftragter.« Sie stieß Paul den Ellenbogen in die Seite. »Falls es dir entgangen ist: Woytas hat ein Schild aufgestellt. Darauf steht: Betreten der Baustelle verboten. Eltern haften für ihre Kinder.«
»Es ist wahr. Wir müssen vorsichtig sein.« Photini bedeutete Rula, mit der Bestellung zu warten.
»Vorsichtig, aber nicht untätig«, sagte Raupach. »Für meinen Geschmack wird hier zu viel unter der Decke gehalten, Terrorismus hin oder her.«
»Woytas sieht eine Gelegenheit, sich in großem Stil zu profilieren.« Heide spielte mit ihrem Besteck. »Habt ihr Vorderbrügge und Trautmann gesehen? Die fressen ihm schon aus der Hand.«
»Weil sie dadurch aus dem Schneider sind«, ergänzte Photini. »Chefsache heißt, dass Woytas die gesamte Verantwortung trägt. Und den ganzen Ruhm erntet.«
»Dafür hat er sich den falschen Fall ausgesucht. Ich habe das Gefühl, dass er ihn überschätzt. Oder unterschätzt, schwer zu sagen.« Raupach rieb seinen Nasenflügel. »Bei diesen Briefen lässt mich mein Gefühl vollkommen im Stich. Ich habe keine Ahnung, wohin sie uns führen werden.«
»Wir sind keine Hellseher«, sagte Paul.
»Klemens wäre gern einer«, vollendete Heide.
»Wie auch immer, Radio Köln hat seine Aufgabe erfüllt«, konstatierte Raupach. »Das war ein wichtiger Schritt. Ich denke, unser Mann wird wieder in Aktion treten. Einer von uns muss dann zur Stelle sein, Information ist alles. Wir setzen unsere Hoffnungen auf dich, Paul.«
Der Motorradpolizist nickte zustimmend. Er hatte seine Sicherheitsjacke abgelegt und trug ein Thermoshirt unter der Trägerhose. »In Ordnung. Ihr müsst mir nur sagen, was ich machen soll.«
»Heide wird von der Feuerwehr auf dem Laufenden gehalten«, fuhr Raupach fort. »Wenn es wieder brennt, schaust du dich am Tatort um. Bei dem leisesten Hinweis, dass es etwas mit dem Fall Schiller zu tun haben könnte, meldest du dich, am besten nicht über Polizeifunk. Vielleicht sind wir schneller als Woytas. Und falls wir nicht schneller sind, beschafft uns Onkel Osterloh zumindest die Berichte.«
»Ich könnte Höttges losschicken«, sagte Heide. »Er ist so nützlich wie ein Gartenzwerg. Aber er hat ein sonniges Gemüt.«
»Wir können jeden gebrauchen.«
»Wonach suchen wir eigentlich?«, fragte Photini.
Schweigen senkte sich über den Tisch.
»Ich meine, warten wir nur, oder werden wir auch selber aktiv?«
Raupach pflichtete ihr bei. Seine Lagebesprechung war unstrukturiert. Es war besser, von vorn anzufangen.
Seine Zigaretten lagen unberührt auf dem Tisch. Heide nahm eine davon. Raupach griff nach einer Packung Streichhölzer, die zu Werbezwecken im Aschenbecher steckte, und gab Heide Feuer.
»Akropolis«, sagte er schließlich und deutete hinter sich auf das scheußliche Plastikgebilde. »Die Ursprünge. Dort entstanden die Werte, auf denen unsere Gesellschaft gründet. Worauf gründet der Briefeschreiber seine Handlungen? Und wen will er damit treffen?«
»Das ist doch leeres Geschwätz.« Heide hielt nichts von Gemeinplätzen.
»Schaut euch um«, fuhr Raupach fort. »Im Fall Schiller haben wir fast nichts. Da können wir genauso gut bei diesem Muskelprotz anfangen.« Er wies auf die Herakles-Statue. »Weißt du, wie er starb, Heide?«
»Hormonschock?«
»Durch das Nessoshemd. Es war vergiftet. Seine Frau hieß Deianeira. Sie glaubte, Herakles liebte eine andere. Deshalb schickte sie ihm dieses Gewand.«
»Eifersucht?«
»Rache, ziemlich verwickelt. Herakles hatte den Zentauren Nessos mit einem Pfeil erschossen, weil Nessos Deianeira vergewaltigen wollte.«
»Verständlich.«
»Der Pfeil war präpariert mit dem Gift der Hydra. Als Nessos starb, riet er Deianeira, sein Blut aufzufangen und als Liebeszauber zu verwenden, wenn Herakles sie einmal nicht mehr lieben sollte. Deianeira bewahrte das Blut in einem Fläschchen auf.«
»Clever«, sagte Heide.
»Deianeira wusste nichts von dem Hydragift. Und Herakles wusste nichts von dem Fläschchen.«
»Dann hatten sie ein Kommunikationsproblem.«
»Das kommt vor, wenn jeder seine Geheimnisse für sich behält. Als Herakles später mit einer alten Liebe anbandelte, tauchte Deianeira ein frisches Gewand in das Blut und schickte es Herakles, weil sie fürchtete, dass er sie verließ. Das war sein Ende, das Gift verbrannte seine Haut. Zugleich erfüllte sich eine Weissagung. Herakles starb nicht von den Händen eines Lebenden, sondern
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