Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Können Sie sich vorstellen, was Sie hier alles verpassen?«
Raupach klappte das Buch zu und gab es dem Buchhändler zurück. Johan ordnete den Band wieder ins Regal ein und hielt nach einem anderen Kunden Ausschau, nach irgendeiner Person, die ihm einen Vorwand bot, diesen Mann sich selbst zu überlassen.
»Wahrscheinlich eine Haiart«, sagte Raupach. »Ich frage mich, was ein Glatthai in Rom macht.«
»Wie bitte?«
»Es sei denn, die Geschichte spielt in einem Restaurant. Oder auf einem Fischmarkt. Was meinen Sie?«
Johan wusste nicht, was er mit diesem Kerl machen sollte. Den schlechten Mann muß man verachten, der nie bedacht, was er vollbringt. Er ging ein paar Schritte und tat so, als suche er nach weiteren Titeln. In Wahrheit kontrollierte er die alphabetische Ordnung des Hardcover-Bestands. Einige Bände waren schon wieder verstellt. Manchmal meinte er, es in diesem Beruf nur mit Analphabeten zu tun zu haben. Er ging in die Hocke und stellte die alte Reihenfolge wieder her.
Johan spürte, wie ihm der Mann folgte. Und unvermittelt stehen blieb.
»Da ist es ja.« Raupach nahm ein Buch aus dem Regal. »Jetzt weiß ich’s wieder: Mord zwischen Messer und Gabel «, las er vom Deckel ab und fuhr mit den Fingern über die gerillte Oberfläche des Schutzumschlags. »Das habe ich gesucht. Da kommt jede Menge Gift drin vor. Sehen Sie, es ist rot«, sagte er stolz.
Johan erhob sich. Warum hatte der Mann nicht gleich gesagt, dass er einen Krimi wollte? »Glücklich ist die Form gefüllt«, murmelte er erleichtert.
Raupach hielt kurz inne. Dann nickte er zufrieden. »Vielen Dank.« Er drückte Johan das Buch in die Hand. »Können Sie mir das jetzt einpacken?«
»Das macht meine Kollegin an der Kasse.« Johan gab Raupach das Buch zurück.
»Natürlich. Sie haben mir sehr geholfen.«
»Dafür sind wir da.«
Die Unterführung verband ein Wohngebiet mit einem Industriegelände. Obwohl es später Nachmittag war und viele Leute von der Arbeit nach Hause mussten, befuhren nur wenige Autos die Straße. In den letzten fünf Minuten kam gerade mal ein Laster mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern vorbei. Anscheinend gab es nur wenige Menschen, die von der einen Seite des Bahndamms auf die andere gelangen wollten. Zumindest an dieser Stelle.
Raupach schaute an die Decke. Die Stahlträger waren mannsdick. Vor einer Stunde war die Sonne untergegangen. Durch einen vergitterten Lichtschacht tropfte die Dunkelheit. Nur eine Reihe von Neonröhren glomm unter einem Firnis aus Ruß und spendete ein diffuses Licht.
Es war über null Grad, doch die hohe Luftfeuchtigkeit und ein böiger Wind, der ungehindert durch die Unterführung blies, erzeugten eine schneidende Kälte. Über vielen Schichten aus Stahl und Beton befanden sich die Gleise des Güterbahnhofs Köln-Nippes. Ein Regionalexpress und die S 11 nach Neuss befuhren diese Strecke. Das Dröhnen eines Zuges ließ Raupach zusammenzucken. Die Unterführung besaß eine Länge von gut zweihundert Metern. An ihrem Ende hörte die Beleuchtung auf. Raupach fragte sich, wie viele solcher gottverlassener Plätze es in den Vororten geben mochte. Und wie viele er schon besichtigt hatte auf der Suche nach einer Spur.
»Ideal, um auf die Schnelle eine Leiche loszuwerden«, sagte Heide und öffnete den Kofferraum ihre Dienstwagens. Sie holte einen Halogen-Scheinwerfer heraus, klappte den Ständer auf und schaltete ihn ein. Außer einem großen Fleck auf dem Bordstein war nichts Außergewöhnliches zu erkennen.
Kurz nach Dienstschluss waren sie zusammen nach Longerich gefahren. Die Identität des ermordeten Mannes hatte sich geklärt. Er hieß Raimund Lübben. Grabner, der zuständige Kommissar von der Polizeiinspektion Nordwest, hatte Heide die spärlichen Einzelheiten übermittelt. Lübbens Freundin war nach einigen Tagen skeptisch geworden. Es sei öfter vorgekommen, dass Raimund tagelang unterwegs war, ohne sich zu melden. Erst als ihre Vermieterin sie auf das Bild in der Zeitung aufmerksam gemacht hatte, war ihr klar geworden, dass er der unbekannte Tote war.
»Lübben war Musiker«, sagte Heide. »Schlagzeuger in einer Rockband. Deutsche Texte, ziemlich gehässig. Grabner lässt Nachforschungen in der Szene anstellen. Lübben hat ein wenig gedealt, nur harmloses Zeug, kein Grund, jemanden umzubringen. Vielleicht hat ihm das nicht mehr gereicht, und er ist in ein größeres Ding eingestiegen. Dann braucht es nicht viel, und man ist raus aus dem Spiel.«
»Ist das
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