Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Menschen, sagen wir, ihren Ehemann, ins Jenseits befördern?« Ein kleiner Scherz, dachte Johan, vertiefte das Verhältnis zum Kunden. Er war zwar nicht gerade für seinen Witz bekannt, aber hin und wieder gelang ihm eine launige Bemerkung. Wenn der Kunde lachte, hatte Johan schon gewonnen.
Raupach verzog keine Miene. »Wenn ich vorhätte, jemanden zu vergiften, würde ich wohl kaum einen Buchhändler nach Fachliteratur fragen. Menschen, die einen Mord planen, benutzen dafür selten Bücher.«
»Das kommt darauf an«, erwiderte Johan. Wenn man einen alten Folianten mit Ethanol tränkt, dachte er, gibt das einen brauchbaren Brandsatz ab. Wegen des Geruchs müsste man das Buch allerdings in einem Plastikbeutel transportieren. »Kennen Sie die Dosierung von Pflanzenextrakten? Sie können heilend und tödlich wirken.«
»Nehmen Sie nicht alles so wörtlich.« Raupach begann die Regalreihen entlangzuschlendern.
Johan konnte Rechthaber nicht leiden. Dieser Mann hatte einen merkwürdigen Gang. Er setzte den linken Fuß vor und zog den rechten mehr nach, als dass er damit ausschritt. Er humpelte nicht, bewegte sich aber, als hinge ein Gewicht an seinem Bein.
»Ich glaube, es ist etwas Fiktives«, sagte Raupach. »Etwas Erdachtes, wenn Sie verstehen.«
Johans Unbehagen wuchs. Dieser Kunde wusste nicht, was er wollte. Wie sollte ein Verkäufer jemanden beraten, der sich über seine Wünsche nicht im Klaren war? Unentschlossenheit schätzen wir ganz und gar nicht. Die Unentschlossenen waren unser Verderben.
»Sie meinen einen Roman?«, fragte Johan.
»Von mir aus, Hauptsache, meine Bekannte schläft dabei nicht ein. Ich war lange nicht mehr im Theater, aber soweit ich mich erinnere, ist auf der Bühne dauernd Gift im Spiel. Es ist ein starkes Symbol.«
»Ein Lesedrama also.«
»Das mit dem Theater habe ich nur zum Spaß gesagt. Wer geht heute noch ins Theater?« Raupach zuckte mit den Schultern. »Welche roten Bücher lesen Sie denn?«, fuhr er fort.
Johan wurde oft gefragt, welche Literatur er selber schätzte. Er nannte dann meistens den Titel, den er zuletzt verkauft hatte. Jetzt war das nicht so einfach. Das Buch, das er vorhin einem Kunden empfohlen hatte, besaß einen braunen Einband, keinen roten.
Sie waren in der Hardcover-Abteilung angelangt. Keines der ausliegenden Bücher war rot. Johan betrachtete das erste Regal und hielt überrascht inne. Seltsam. Es gab relativ wenige rote Bücher, die meisten waren weiß, beige oder schwarz. Das war ihm noch nie aufgefallen. Woran mochte das liegen? Befürchteten die Verlage, dass eine Signalfarbe die Leser abschreckte? Politische Gründe konnte es ja wohl nicht mehr haben.
Johan zog ein schmales Buch heraus. »Geschichten aus der Stadt Gottes« war in den roten Rücken geprägt.
Raupach nahm das Buch vorsichtig entgegen und betrachtete das Titelbild. Es zeigte einen jungen Maroniverkäufer. Er röstete Kastanien in einer kleinen Pfanne. Dabei schaute er den Fotografen an, als traue er ihm nicht über den Weg. Raupach schlug die ersten Seiten auf.
»Die Erzählungen spielen in Rom«, erklärte Johan. »Es geht um Armut und Schönheit.«
»Das klingt romantisch, wir tasten uns langsam heran. Hat es Sie berührt?«
Mit dieser Frage konnte Johan nichts anfangen. Er rief sich die Verlagsinformation ins Gedächtnis. Eine Mischung aus Realismus, Mitleid und tragischem Humor, hieß es da.
»Ja«, log er. Es gab nur einen Schriftsteller, der ihm etwas bedeutete. Der Autor dieser Romgeschichten war es gewiss nicht. »Es ist realistisch erzählt, aus dem Leben gegriffen.« Das musste reichen.
»Gift kommt darin aber nicht vor«, sagte Raupach und wies auf das Inhaltsverzeichnis.
»Das habe ich auch nicht behauptet. Sie haben sich nach einem roten Buch erkundigt, das ich selber gelesen habe. Da ist eins.«
»Der Glatthai«, las Raupach. »Ein viel versprechender Titel. Worum geht es in der Geschichte?«
Um einen Fisch, dachte Johan. »Das weiß ich nicht mehr.« Der Kunde würde ohnehin nichts kaufen. Er wollte ihn möglichst schnell loswerden. Er bringt uns durcheinander. Er soll uns in Ruhe lassen.
»Sie sagten doch, sie hätten das Buch gelesen.«
»Bei Erzählungsbänden überspringt man hin und wieder einen Text«, parierte Johan. »Das ist das Praktische daran. Ich finde den Titel nichts sagend. Man muss ja nicht alles lesen, was einem zugemutet wird.«
»Und wenn Ihnen dadurch die beste Geschichte entgeht?«
»Da kann man nichts machen. Schauen Sie sich um.
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