Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
von denen eines Toten.«
»Wie du mir, so ich dir«, sagte Heide.
»Aber über Umwege. Herakles und Deianeira handelten in gutem Glauben. Vor Kummer hat sie sich dann erhängt.«
»Hab ich mir schon gedacht.«
»Und wozu hast du uns diese Geschichte erzählt?«, fragte Photini.
»Es geht um Gift und welche Wege es nimmt. Gift ist unsichtbar und schwer nachzuweisen. Manchmal bleibt es über Jahre hinweg wirksam. Ich glaube nicht, dass einer von uns den Schreiber dieser Drohbriefe auf der Straße erkennen würde. Ich stelle ihn mir als unauffälligen Menschen vor, in dem es nichtsdestotrotz brodelt. Als wütete ein schleichendes Gift in seinem Körper. Oder als läge es bereit wie dieses Fläschchen, zur späteren Verwendung gewissermaßen, ohne dass jemand seine tödliche Wirkung kennt.«
»Es muss einen Zusammenhang geben«, sagte Photini. » Die Menschen werden brennen. Es wird unter der Erde geschehen. Diese Verbindung, Feuer und ein Ort unter der Erde. Könnte das nicht auf ein Trauma zurückgehen? Nehmen wir mal an, der Mann wurde früher einmal in einem Keller eingeschlossen, in dem ein Brand ausbrach. Oder er war bei einem Feuer in der U-Bahn dabei. Vielleicht hat er als Kind einen Luftangriff erlebt.«
»Und wie sollen wir nach so einer Kombination suchen?« Heide übernahm die Rolle der Zweiflerin. »Willst du eine Umfrage machen?«
»Ein Vulkan«, sagte Paul. »Unterirdisches Feuer.«
»Nicht schlecht«, sagte Heide. »Ich bin auch ein Vulkan. Bring dich lieber in Sicherheit.«
Paul drehte die Augen zur Decke, lächelte aber.
Raupach dachte an den Stromboli. »Wir müssen alles in Betracht ziehen. Was lange eingeschlossen war, kommt manchmal zum Ausbruch. Es bahnt sich einen Weg an die Oberfläche.«
»Das trifft auf viele Menschen zu«, sagte Paul.
»Wie wäre es damit«, schlug Heide vor. »Bei einem Feuer in einem Partykeller wird ein Schüler dabei gestört, wie er Schillers Lied von der Glocke auswendig lernen muss. Daraufhin beschließt er, die Bude abzufackeln. Dann hätten wir alles hübsch beieinander.« Sie lachte. »Das ist doch Küchenpsychologie! Raupach hat Recht, meistens läuft es über Umwege. Aber um die herauszufinden, wissen wir zu wenig.«
»Immerhin haben wir die Glocke. « Raupach sah einen Ansatzpunkt. »Es gibt nicht viele Menschen, die Schiller so wichtig nehmen. Das ist unsere beste Spur.«
»Klingt nach Archivarbeit«, sagte Photini mit wachsendem Interesse. »Wie weit wollen wir zurückgehen? Zehn Jahre?«
»Mindestens.« Er konnte ihre Begeisterung für den Fall spüren. »Es gibt nichts Sichtbares, nicht einmal tausend Quadratkilometer Wüste oder offenes Meer, wo nicht ein Zeichen oder eine Botschaft unser harrt. Wir machen weiter.«
»Schön gesagt.« Heide legte einen Arm um Pauls breite Schultern. »Nächstes Jahr könnt ihr mir Bescheid geben, wie weit ihr seid.«
»Wir nutzen die Möglichkeiten, die wir haben. Was bleibt uns anderes übrig?«
»Rula!«, rief Heide. »Wir möchten bestellen.«
Sheila bewunderte seine Sehnen und Muskeln. Obwohl es Winter war, saß Luzius im Unterhemd da. Schon wieder etwas, was sie verband: ihre gemeinsame Unempfindlichkeit gegen Kälte. Im Vorübergehen streifte sie seinen Oberarm. So viel Kraft in einem einzigen Körper.
Er hatte Tapferkeit gezeigt, Entscheidungen getroffen, Verletzungen hingenommen. Er hatte für sie getötet, dessen war sie sich sicher. Es stand in den Zeitungen, mit Foto. Die Leiche dieses unbekannten Mannes um die dreißig wurde in Köln-Longerich aufgefunden. Die Polizeiinspektion Nordwest bittet um sachdienliche Hinweise, um die Identität des Toten zu ermitteln. Vermutlich wurde er Opfer eines Gewaltverbrechens. Warum Ray in Longerich gefunden worden war, erschien ihr rätselhaft. Aber das war nicht wichtig. Ray würde sie nie mehr belästigen. Bald würden es die anderen auch nicht mehr tun.
Luzius hatte sie von der Schule abgeholt. Er hatte in einiger Entfernung an der vereinbarten Stelle neben der türkischen Schneiderei gestanden, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, unbeweglich wie ein zur Erde herabgefallener Meteorit. Mio verdrückte sich sofort, als er den großen Mann sah.
Sheila hatte Lili schon am Schultor gesagt, dass sie künftig allein nach Hause gehen würde. Ihre Freundin hatte ihr einen seltsamen Blick zugeworfen, aber Sheila war egal, was Lili von ihr dachte. Lili nahm einen Teil ihres Lebens ein, der ihr inzwischen wie ein großer Schwindel vorkam. Vor dem Spiegel
Weitere Kostenlose Bücher