Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
alles?«
»Außer dem Genickbruch und dem prämortalen Sex –«
»Mit einem Mädchen«, ergänzte Raupach.
»Einem Groupie. Oder einem Vergewaltigungsopfer, das Hilfe bekommen hat. Professionelle Hilfe, so einen Griff lernt man nicht auf der Straße.«
»Aber bei vielen Kampfsportarten. Das ist doch das Erste, was sie alle wissen wollen: Wie man jemanden umbringt.«
»Die Analyse der Blutreste und der fremden DNS hat nichts ergeben«, sagte Heide.
»Was nicht heißen muss, dass wir es mit einem Ersttäter zu tun haben.«
»Jedenfalls nahm Lübbens Freundin es nach dem ersten Schreck ziemlich gelassen auf. Ihr Name ist Silke Scholl. Die Beziehung war wohl nicht besonders eng. Grabner meinte, dass von ihr nicht mehr zu erfahren sei. Lübben hatte keine Angehörigen.«
»Freunde? Musikerkollegen aus der Rockband?«
»Gehen auf Distanz. Er scheint nicht besonders beliebt gewesen zu sein.«
»Da stirbt ein Mensch, und niemanden juckt es, nicht einmal seine Lebensgefährtin«, wunderte sich Raupach.
»Leute wie Lübben lehnen Bindungen ab. Sie wechseln ihre Freundinnen, wie es ihnen passt. Mal spielen sie in dieser, mal in jener Band, ziehen andauernd um. Weit lässt sich ihr Weg meistens nicht zurückverfolgen, zumal sie keiner vermisst.«
»Hast du Vorurteile?«
»Nein, aber ich mache mir keine Illusionen«, gab sie zurück. »Wenn einer von uns beiden sterben würde, wäre die Trauergemeinde auch überschaubar.«
Er nickte. »Mach das Licht wieder aus. Ich glaube nicht, dass die Spurensicherung hier etwas übersehen hat.« Mit der Hand beschrieb er einen Halbkreis um den Fleck auf dem Boden.
»Bist du sicher?«
»Trägst du deine Waffe?«, fragte Raupach.
Heide stutzte. Unter ihrem Oberarm spürte sie ihre Dienstpistole. »Klar. Das weißt du doch.«
»Dann kann uns nichts passieren.«
Sie schaltete den Scheinwerfer aus. Die Neonröhren waren jetzt die einzige Lichtquelle. Sie dienten zur groben Orientierung für die Autofahrer und beleuchteten nur einzelne Abschnitte. »Wer diese Unterführung bei Dunkelheit durchquert, braucht gute Nerven.« Heide lehnte sich an die Motorhaube. Ihr Magen kämpfte immer noch mit der üppigen griechischen Süßspeise, und der Geschmack des Ouzos wollte nicht verschwinden. Sie nahm eine kleine Schachtel aus ihrem Wollmantel und steckte sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund.
Raupach entfernte sich ein Stück.
Er will ein Gefühl für den Ort bekommen, dachte Heide. Nach den Jahren im Archiv war das kein Wunder.
»Was tun wir hier noch?«, rief sie. »Das ist kein Tatort!«
»Hier wurde die Leiche zurückgelassen«, antwortete er und ging weiter. Mit einer ausgestreckten Hand strich er über die geflieste Wand der Unterführung. Der Schmutzfilm, mit dem sie überzogen war, fühlte sich ölig an. Es roch nach den Abgasen von Jahrzehnten.
»Es ging nicht darum, Lübben zum Verschwinden zu bringen«, korrigierte Heide. »Jemand wollte sich ihn nur unerkannt vom Hals schaffen. Es ist gar nicht so schwer, eine Leiche zu transportieren. Man braucht nur genügend Plastikfolie, damit der Kofferraum sauber bleibt.«
»Vielleicht wollte der Mörder, dass die Leiche an diesem Ort gefunden wurde«, gab er über die Schulter zurück. »An einem passenden Ort.«
Er suchte nach einem Zusammenhang zum Fall Schiller, dachte sie. Der Brand auf dem Spielplatz und eine Leiche unter der Erde. Zwei lose Enden, wenn man so wollte. Aber wie viele lose Enden gab es, ohne dass jemand wie Raupach auf den Gedanken kam, sie zu verknüpfen? Oder dass jemand wie der Mörder die Absicht hatte, eine Verknüpfung herzustellen? Nicht alles ließ sich in ein Schema pressen.
Heide erinnerte sich daran, dass sie es gewesen war, die Raupach diese Verknüpfung nahe gelegt hatte. Genügte das schon, um ihn auf den Fall anzusetzen? War er so ausgehungert? Sie schaute auf.
»Raupach?«
Er war verschwunden. Heide hatte ihn zuletzt in etwa fünfzig Metern Entfernung gesehen. Sein gebeugter Rücken in der dunklen Jacke hatte sich kaum von dem schwarzen Rechteck am Ende der Unterführung abgehoben. Jetzt war er weg.
Sie rief erneut nach ihm. Keine Antwort.
»Was soll das?« Pause. »Wo bist du?«
Stille. Das ferne Rattern von Güterwaggons.
In der Unterführung war niemand zu sehen. Gab es weiter vorn eine Nische? Vielleicht eine Notrufsäule? Sie ging ein paar Schritte. Dann begab sie sich zurück zum Wagen.
»Wir sind zu alt für solche Spielchen!« Heide sah sich in alle Richtungen um. Sie
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