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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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werden können.
    Sterben kann nicht so schlimm sein, unsere Patienten tun es täglich, und selbst Schulfreunde von mir hat es schon erwischt. Was soll das ganze Gewese! Hätten Celine und ich heiraten sollen, eine Familie gründen? War unser Nicht-Heiraten nur Feigheit gewesen? Aber was hieße das jetzt, außer eine trauende Witwe zu hinterlassen und einen Satz meiner Gene? Es bleibt wirklich nur eine gewisse Traurigkeit - und Ärger über den im Nachhinein sinnlosen Kampf, mit dem ich vor zwei Jahren das Rauchen aufgegeben habe.
    Soll ich beten? "Herr, vergib mir meine vielen Sünden!" Kommt es tatsächlich zu dieser großen Verhandlung, wäre das nicht ein Tatbestand, der zu meinen Gunsten zu berücksichtigen wäre? Ein wenig schäbig allerdings scheint mir ein so später Versicherungsbeitrag. Am ehrlichsten wäre noch ein Kindergebet. "Lieber Gott, bitte mach, dass ich nicht gleich sterben muss."
    Am Ende reicht es nur zu einem Zettel an Celine.
    "Meine liebe Celine. Ich liebe dich. Und das wird nun auf ewig so bleiben. Felix."
    Ich höre meinen Scharfrichter kommen. Haben meine Kollegen wenigstens versucht, ihm sein Vorhaben auszureden? Haben sie es am Ende sogar geschafft?
    Es sieht nicht so aus, er kommt um die Ecke, seine Pistole zielt genau auf mich. Dann kontrolliert er die Handschellen. Vielleicht kennt er den Trick, wie man sie ohne Schlüssel aufbekommt.
    "Knien Sie nieder."
    Ich hatte mir Sorgen gemacht, ob ich betteln würde, schreien oder sonst etwas Unwürdiges. Zum Beispiel mir in die Hose machen, was mehr als peinlich wäre. Ist es wirklich möglich, dass ich mehr Angst davor habe, mit eingenässten Unterhosen zu enden, als vor dem Tod an sich? Ich spüre den kühlen Pistolenlauf an meinem Hinterkopf, nach oben gerichtet. Also würde ich wohl nicht viel merken, aber vielleicht noch als Organspender taugen. Was mich, gebe ich zu, nicht wirklich tröstet.
    Soll ich die Augen aufbehalten oder schließen? Ich schließe sie, will mir etwas Schönes vorstellen, möchte nicht das kahle Intermediate-Zimmer mit den abgeschalteten Monitoren und herumliegenden Kabeln als letzten Eindruck mit in die Ewigkeit nehmen. Aber es funktioniert nicht. Klar kann ich die Augen schließen, was ich aber wirklich sehe, ist die Filmszene aus "Der Schakal", wie diese große Melone beim Übungsschuss in tausend glitschige Teile zerplatzt. Und ich mache mir tatsächlich Gedanken, wer diese Schweinerei hier wird aufwischen müssen!
    Ein deutlicher Klick.
    Ein Klick, kein Knall!
    "Eins zu null für Sie!"
    Der Blinde spielt russisch Roulette mit mir! Ein unkontrollierbares Zittern überkommt mich.
    Wieder ein Klick.
    "Zwei zu null! Vielleicht sind Sie ein Glückspilz, Dr. Hoffmann."
    Ich muss mich, trotz Handschellen, mit beiden Händen an der Heizung festhalten. Unmöglich, das Zittern zu kontrollieren. Immerhin aber kann ich mich auf diese Anstrengung konzentrieren, gibt sie meinem Hirn eine weniger schreckliche Beschäftigung als das Warten auf das nächste Klicken oder das finale "Rums". Bloß nicht jetzt noch in die Hosen machen! Kann er mir nicht einfach die Birne wegpusten und Schluss? Darum würde ich ihn gerne bitten, aber mein Mund ist wie ausgedorrt, ich bekomme die Lippen nicht auseinander.
    Rums!
    Ich merke nichts. Klar, das Hirn hat keine Schmerzrezeptoren. Trotzdem erstaunlich, dass ich das "Rums" noch gehört habe! Ich wundere mich darüber und noch mehr, dass ich mich darüber wundern kann. Stimmt am Ende die Störtebeker-Legende? Hat Störtebekers abgeschlagener Kopf damals tatsächlich interessiert zugeschaut, wie sein kopfloser Torso die Reihe der Piraten-Kameraden abgelaufen ist?
    Langsam wird mir klar: Ich habe gar kein Loch im Kopf. Nicht im Kopf und woanders auch nicht. Keine Ahnung, was da gerumst hat. Eine Tür irgendwo, von meiner Angst als Schuss interpretiert? Oder hat der Blinde wirklich geschossen, aber daneben? Ist auch egal, ist mein vorerst letzter Gedanke.
    Keine Ahnung, wie lange ich schon embryonal zusammengekauert und wieder allein im Intermediate-Zimmer an der Heizung hocke, als schließlich Renate hereinkommt. Die Handschellen habe ich nicht mehr um, Renate schließt mich in die Arme. Ich weine und will sie nicht mehr loslassen.
    Schließlich befreit sie sich aus meiner Umklammerung und sagt leise: "Warte. Ich bin gleich wieder da."
    Nach einer Weile taucht sie mit einer Plastikschüssel voll warmem Wasser, einem Waschlappen und einem Handtuch wieder auf.
    "Brauchst du Hilfe?"
    "Nein, es

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