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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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andere Leben zu entscheiden? Und wer zieht bei Ihnen hier das große Los? Der Sozialhilfeempfänger etwa? Oder doch der Privatpatient?"
    Der Blinde hat sich in Rage geredet, Speicheltropfen treffen mich direkt im Gesicht. Was zwar eklig ist, mir aber weniger Sorgen macht als seine Pistole, mit der er mir unmittelbar vor den Augen herumfuchtelt. Ich bin zu weit gegangen, es geht um sein Machtgefühl, um seine Autorität. Es ist ihm wichtig, zu zeigen, dass jetzt er der Herr über Leben und Tod ist. Ich fürchte, ich werde von seiner Rage noch mehr abbekommen als ein paar Tropfen Speichel.
    Das Telefon klingelt, unwirsch deutet er mit der Pistole auf Renate, sie soll abnehmen. Ich bin erleichtert. Ich war sicher, dass er mich im nächsten Moment umgelegt hätte.
    Renate nimmt das Telefon ab: "Es ist die Polizei. Sie wollen mit Ihnen sprechen."
    Der Blinde ist noch immer wütend, schreit fast: "Die sollen Ihnen sagen, was sie wollen."
    Wenigstens habe ich die Pistole nicht mehr direkt im Gesicht.
    "Die Polizei akzeptiert die eine Million Euro. Aber sie fordern einen Beweis Ihres guten Willens. Sie sollen die Patienten freilassen beziehungsweise ihre Verlegung ermöglichen."
    Der Blinde fragt Renate: "Können Sie diese Patienten hier ebenso gut versorgen wie eine andere Intensivstation?"
    Renate zögert, sucht Blickkontakt zu Käthe. Käthe nickt.
    "Wenn Sie uns das erlauben, können wir die Patienten hier gut versorgen. Der Transport von Intensivpatienten ist immer ein Risiko."
    Der Blinde winkt, Renate gibt ihm den Hörer.
    "Sie stellen mir keine Bedingungen, verstehen Sie? Aber Sie bekommen gleich einen Beweis, dass ich es ernst meine!"
    Er knallt den Hörer auf, hat die Pistole noch in der anderen Hand, richtet sie wieder auf mich und deutet in Richtung Intermediate-Zimmer. Inzwischen ist sein Gesicht hochrot.
    "Gehen Sie voran. Die Polizei soll ihren Beweis bekommen!"
    Warum ich? Bessere Frage, aber zu spät: Warum hatte ich nicht den Mund gehalten? Einzig relevante Frage im Moment: Will der Mann mich tatsächlich umbringen? Soll ich sterben, nur um ein Exempel zu statuieren gegenüber der Polizei?
    "Ich war bisher der Meinung", sagt der Blinde nun wieder in normaler Lautstärke, während er mir seine Pistole in den Rücken bohrt, "ich war bisher der Meinung, Intensivstation bedeutet intensive Behandlung, um Leben zu retten. Aber das ist ein Irrtum. Der Tod schlägt hier ebenso parteiisch zu wie überall. Allerdings immer nur unter den Patienten. Das wird heute einmal anders sein!"
    Damit ist meine Frage beantwortet. Bleibt nur noch eine: Werden meine Kollegen das zulassen?
    Ich schaue mich um. Zentis weicht meinem Blick aus. Natürlich ist er froh, dass es nicht ihn erwischt hat. Ich will ihm nicht unterstellen, dass er meinen Tod wünscht. Aber wenn es einen treffen muss, dürfte er denken, wäre auch seine Wahl auf mich gefallen. Was ist mit den anderen Männern? Herr Engels mit der Sengstaken-Sonde im Hals ist keine Hilfe, und Herzpatient Sauerbier scheint plötzlich in ein tiefes Koma gefallen zu sein. Bleiben nur noch die Schwestern.
    Renate tritt uns in den Weg.
    "Ich denke, Sie haben Ihren Standpunkt jetzt ausreichend klargemacht."
    Renate! Das überrascht mich, habe ich sie doch vor nicht allzu langer Zeit in einer anderen Sache zu Unrecht verdächtigt und sie heute sogar auf meine Liste möglicher Komplizen gesetzt. Der Pistolenlauf bleibt in meinem Rücken.
    "Wollen Sie mit Dr. Hoffmann tauschen, Schwester Renate?"
    "Das ist nicht das Thema. Das Thema ist, dass Sie nicht hierher gekommen sind, um jemanden umzubringen. Das könnten Sie gar nicht."
    "Was soll daran so schwer sein, Schwester Renate? Wie ich höre, tun Sie das hier doch jeden Tag. Kommen Sie mit!"
    Jetzt sind wir zu dritt und haben die Tür zum Intermediate-Bereich erreicht, da meldet sich Schwester Käthe, die Hand an der Infusion von Herrn Engels.
    "Hören Sie sofort damit auf. Sonst lasse ich diese Infusion im Schuss laufen. Dann hätten Sie auch ein Patientenleben auf dem Gewissen!"
    Der Blinde stockt nur einen Moment.
    "Hätte ich nicht, Schwester Käthe. Hätten Sie."
    Ich muss zugeben, das sehe ich auch so. Vielleicht hat unser Geiselnehmer auch ein wenig Menschenkenntnis - würde Schwester Käthe tatsächlich einen Patienten umbringen? Oder hat er durchschaut, dass fünfhundert Milliliter physiologische Kochsalzlösung selbst im Schuss kaum allzu viel Schaden anrichten können, wenn der Patient nicht gerade im Lungenödem ist?
    Unsere

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