Der Vierte Tag
Dann kommt mir eine schlimmere Möglichkeit in den Sinn: Hatte jemand so absichtlich für das Misslingen des Polizeieinsatzes, der nicht mehr zu verhindern gewesen war, gesorgt?
Unser SEK-Freund zeigt nicht die geringste Neigung, uns irgendetwas aus seinem Nahkampf-Repertoire zu bieten, ist wohl eher Team- als Einzelkämpfer. Ängstlich studiert er abwechselnd mich, den Schäferhund und sein Bein.
"Es ist gebrochen, nicht wahr?"
"Ich bin ziemlich überzeugt, dass nichts gebrochen ist", beruhige ich ihn. "Zur Sicherheit wird man Sie später noch röntgen. Versuchen Sie mal aufzutreten!"
Gestützt von Käthe und mir, macht der Sondereinsatz-Polizist, in behördlichen Unterhosen und auf behördlichen Socken, aber mit Stahlhelm auf dem Kopf und schusssicherer Weste vor der Brust, ausgesprochen vorsichtigen Gehversuche, er scheint meiner Diagnose nicht so recht zu trauen. Im Hof werden seine Kameraden, die ebenfalls alle überlebt haben, in Krankenwagen geschoben.
Langsam kehrt wieder Ruhe ein. Unser Wächter hat inzwischen die aufgeschnittenen Hosen des SEK-Mannes untersucht, tatsächlich war in den Taschen ein ganz ansehnliches Arsenal an Nahkampfwaffen verstaut. Trotzdem glaube ich nicht, dass unser Fast-Befreier eben nach ihnen greifen wollte. Wahrscheinlich hat er sich wirklich nur Sorgen um sein Bein gemacht. Was er, seinem Gang nach zu urteilen, immer noch tut.
Plötzlich zeigt unser Geiselnehmer sogar ein wenig Humor, eine uns bisher unbekannte Seite an ihm: "Meine Million Euro hat man Ihnen nicht zufällig mitgegeben, oder?"
Als hätte man ihn einer Lüge überführt, schüttelt der SEK-Mann fast ängstlich den Kopf.
"Nicht einmal frische Brötchen zum Frühstück, wie?"
Was macht unseren Geiselnehmer heute Morgen so fröhlich? Nur die Tatsache, dass die Polizeiaktion voll in die Hose gegangen ist? Oder weil alles so läuft, wie lange geplant?
Zentis hat eine Erklärung, die mich noch mehr beunruhigt: "Merken Sie es, Hoffmann? Der Typ wird zunehmend psychisch instabil. Vorsicht!"
Aus welchem Grund auch immer, der Geiselnehmer hat heute Morgen nicht nur seinen humorigen, sondern auch seinen großzügigen Tag. Zu meiner Überraschung darf der SEK-Polizist zu seiner Einheit zurückhumpeln.
Zentis allerdings ist nicht überrascht, und hat wahrscheinlich recht damit: "Das ist nicht großzügig, das ist schlau. Irgendwann hätte sich der Junge von seinem Schock erholt und sich seiner Kampfsportausbildung entsonnen. Ich wäre ihn auch so schnell wie möglich losgeworden."
Die Motive für seine Freilassung dürften dem SEK-Mann egal sein, mit plötzlich deutlich weniger Humpeln hat er fast die Tür zum Gang erreicht, als er doch noch gestoppt wird.
"Einen Moment, junger Mann!"
Wieder dieser ziemlich ängstliche Blick des Jungen. Wird hier nur ein Spiel mit ihm getrieben?
"Ich denke, Sie könnten uns wenigstens frische Frühstücksbrötchen besorgen. Gibt es hier eine gute Bäckerei in der Nähe, Dr. Hoffmann?"
Warum bekomme immer ich die verantwortungsträchtigen Fragen?
"Na ja, die Bäckerei Krümel um die Ecke ist nicht schlecht."
"Bäckerei Krümel? Spinnst du? Absolut ungenießbar!" fällt Renate mir ins Wort. "Nein, er soll sich links halten, zur Bäckerei kurz vorm U-Bahnhof."
Was soll das? Gibt es etwas, das ich über die Bäckerei am U-Bahnhof nicht weiß? Backen die handliche Selbstbefreiungswaffen in die Brötchen ein? Käthe bringt noch eine dritte Bäckerei ins Spiel, die Frage scheint das Problem des Tages zu sein. Wahrscheinlich ist es eine psychologische Sache, Streit über Unwichtiges als Mittel zum Streßabbau.
"Und Sie?"
Während meines angestrengten Nachdenkens über Vorzüge und Nachteile der verschiedenen Bäckereien in der Gegend hatten meine Kollegen dem jungen Mann ihre Brötchenwünsche aufgetragen, nur meine fehlen noch.
"Ist mir vollkommen egal. Zwei Stück. Baguettebrötchen. Eines mit Mohn, eines mit Sesam. Aber nicht so helle. Sonst lieber ohne Mohn. Oder ohne Sesam."
"Können Sie sich das merken, junger Mann?" fragt der Geiselnehmer.
Zur Sicherheit schreibt Renate ihm unsere Wünsche auf, unser Wächter kontrolliert den Zettel auf geheime Mitteilungen. Dann überrascht er uns mit einem Plan, wie wir zu garantiert unvergifteten Frühstücksbrötchen kommen.
"Sie lassen sich bei ihrem Einkauf von einem dieser Fernsehteams, die da draußen herumlungern, begleiten. Die sollen life senden, die ganze Zeit, bis Sie uns die Brötchen gebracht haben."
"Ich soll wieder
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