Der Vierte Tag
hierher zurückkommen?"
"Nur auf den Gang vor der Station, das werden Sie schon schaffen. Und dann lassen Sie ihr Bein röntgen."
Noch jemand, der meiner Diagnose nicht traut! Zum Abschied gibt der Geiselnehmer dem SEK-Jungen einen Zehn-Euro-Schein.
"Den Rest können Sie behalten. Vielleicht können Sie bei den Fernsehleuten sogar ein kleines Extra-Honorar herausschlagen! Und übrigens...", der Geiselnehmer nimmt eine Haltung ein wie seinerzeit Inspektor Colombo, nur dass in unserer Situation der SEK-Junge derjenige ist, der schon fast durch die Tür ist, "... wo wir gerade von Geld sprechen: Teilen Sie doch bitte Ihren Vorgesetzten mit, dass der Unkostenbeitrag auf zwei Millionen Euro gestiegen ist. Als kleine Entschädigung für unsere Aufregung heute morgen."
Inzwischen geht es mir wie Zentis. Auch mir macht das Humorige bei unserem Geiselnehmer zunehmend Sorgen.
Kaum ist der SEK-Mann verschwunden, meldet sich Herr Sauerbier aus Bett eins.
"Und was ist mit uns? Bekommen wir keine frische Brötchen?"
Einen Moment bin ich versucht, ihm eines der Sprengstoffpäckchen ins Bett zu werfen, aber stopp: er hat ja recht. Es ist uns tatsächlich gelungen, ihn einen Moment zu vergessen. Selbst unser sonst um die Patienten so besorgte Geiselnehmer hat ihn bei der Brötchenbestellung übergangen. Ich gehe zu Sauerbier hinüber und setze mich an sein Bett.
"Ich denke, Herr Sauerbier, wir wollten heute die Herzkatheteruntersuchung machen?"
Ich sage das so nachdrücklich, dass er eigentlich verstehen muss, worum es mir geht.
"Ich habe aber die Einverständniserklärung noch nicht unterschrieben."
"Herr Sauerbier", ich betone jedes Wort, "Sie sollten die Einverständniserklärung dringend unterschreiben. Ich glaube, dass der Herzkatheter gerade heute sehr, sehr wichtig für Sie ist."
"Heißt das, ich bekomme nur Frühstück, wenn ich unterschreibe?"
Ich sage nichts, schaue Sauerbier nur intensiv an. Will er mich nicht verstehen? Oder nimmt er mich auf den Arm? Der Geiselnehmer kommt zu uns herüber, will mitbekommen, worum es geht. Ich erhebe mich.
"Auf jeden Fall schreiben wir jetzt ein neues EKG. Dann entscheiden wir weiter. Käthe, können Sie mir mal bitte helfen?"
Käthe verkabelt Herrn Sauerbier, anschließend lasse ich mir viel Zeit mit dem Studium der zwölf EKG-Ableitungen. Dann rufe ich Zentis dazu. Sauerbier wird unruhig.
"Ist was nicht in Ordnung? Habe ich einen Infarkt?"
"Noch nicht, Herr Sauerbier. Aber die Vorzeichen nehmen zu."
Zentis schaut mich erstaunt an. Wahrscheinlich fragt er sich, ob ich tatsächlich mehr als er vom EKG verstehe oder nur schlicht durchgeknallt bin. Endlich kapiert er.
"Herr Sauerbier. Wir müssen den Herzkatheter heute machen, das sage ich Ihnen als Chefarzt."
Das mit dem "Chefarzt" wirkt, Sauerbier stimmt endlich zu. Fragend schauen Zentis und ich den Geiselnehmer an.
"Dann leiten Sie das in die Wege, Herr Chefarzt."
Also hängt sich Zentis ans Telefon und versucht der Polizei zu erklären, worum es geht und was zu tun ist. Es gibt einiges hin und her, der Polizist am Telefon ist unentschieden, ob er der quasi Freilassung einer Geisel einfach so, ohne weitere Verhandlung, zustimmen kann.
"Was ist mit Ihrem Einsatzleiter? Geben Sie mir den mal!"
Der Einsatzleiter und seine Freunde sind wahrscheinlich gerade mit Wundenlecken nach ihrem fehlgeschlagenen SEK-Einsatz beschäftigt. Jedenfalls dauert es ein wenig mit dem Rückruf, aber schließlich erlangt Zentis die Zustimmung zum Austausch des Patienten Sauerbier gegen unsere Frühstücksbrötchen. Ein wenig besorgt stelle ich fest, dass es einfacher war, unseren Geiselnehmer zur Freilassung einer Geisel zu bewegen als die Polizei zur Annahme der Geisel.
Auf dem Fernseher brauchen wir nicht lange zu suchen, die Lifeübertragung "Frühstücksbrötchen für die Krankenhausgeiseln" läuft an diesem frühen Morgen auf fast allen Kanälen. Das Rennen um die Exklusivrechte dürfte die Reporterin von SAT 1 gemacht haben, mit vollem Körpereinsatz verteidigt sie ihre Position direkt neben unserem SEK-Mann und versucht, die Konkurrenz abzuschütteln. Erfolglos, denn Straßenraum ist öffentlicher Raum, beharren die Kollegen von den anderen Sendern.
Unser SEK-Mann von vorhin humpelt noch ein wenig, ist jedoch wieder vorzeigbar bekleidet, komplett mit frischer Uniform und Waffe, wenigstens aber ohne Stahlhelm und Vermummung. Welch ein jugendliches Gesicht! Es macht mir Sorgen, dass diese Leute, kaum der Pubertät entwachsen, mehr
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