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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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ich unserem Geiselnehmer mit der Frage, woher das Lösegeld eigentlich kommen soll, etwas zum Nachdenken gegeben. Er entschließt sich zu einem Test.
    "Schwester Käthe, nehmen Sie bitte Kontakt zur Polizei auf, und sagen Sie denen Folgendes: Die Freilassung von Herrn Sauerbier hatte medizinische Gründe und war wie die Freilassung des SEK-Mannes ein Zeichen meines guten Willens, trotz des Überfalls des Sondereinsatzkommandos. Jetzt aber ist es für die Polizei an der Zeit, ebenfalls guten Willen zu beweisen. Eine weitere Geisel wird nur im Austausch gegen die Hälfte der geforderten Summe, also nach Übergabe von einer Million Euro, freigelassen werden."
    Das scheint mir eine vernünftige Forderung, kann es dem Geiselnehmer doch egal sein, woher das Geld kommt, solange deutlich wird, dass man es tatsächlich besorgen kann und auch besorgt hat. Selbstredend, dass die Polizei den Punkt verhandeln möchte, sowohl die Anzahl der freizulassenden Geiseln wie auch die Höhe der ersten Rate, aber der Geiselnehmer bleibt stur: Eine Million Euro und eine Geisel, lässt er Schwester Käthe klarstellen. Schließlich habe er, wie gesagt, schon zwei Geiseln ohne Gegenleistung laufen lassen. Dann widmet er sich wieder dem Frühstück. Wir auch.
    "Was ist mit Ihrem Hund?" fragt Zentis, ein halbes Wurstbrötchen in der Hand. "Kann der das hier zum Frühstück bekommen?"
    Falls das die Eröffnung um das Rennen Wer-wird-als-nächster-freigelassen ist, stellt sie sich als Fehlschlag heraus.
    Ziemlich unwirsch entgegnet der Geiselnehmer: "Hunde bekommen nur einmal am Tag was zu fressen. Richtige Hunde jedenfalls. Und vom Tisch schon einmal gar nichts."
    Ich nehme Zentis den Versuch, wenn es denn einer war, nicht übel, habe ich doch selbst gerade überlegt, welche Argumente für die Freilassung meiner Person sprächen. Zugunsten der Geisel Dr. Hoffmann würde ich zu bedenken geben, dass ich unter Berücksichtigung des Nachtdienstes am längsten in der Klinik festsitze. Und außerdem muss ich unbedingt meine Freundin Celine sprechen, muss erfahren, ob sie mit ihren Freunden wirklich diese Zuchtanstalt für Forschungstiere überfallen hat, ob die Tiere frei sind, wo Celine sie untergebracht hat und ob Celine selbst überhaupt noch in Freiheit ist.
    Meine Mitgeiseln dürften mindestens ebenso gute Argumente haben. Renate und Käthe zum Beispiel, schon einmal mit dem immer noch aktuellen "Frauen und Kinder zuerst". Und überhaupt, was ist mit den verbliebenen zwei Patienten? Sie könnten ihre Freilassung medizinisch begründen, und wenn ich tatsächlich meinen Nachtdienst anführe, könnten Herr Engels in Bett zwei und die Frau im Bett vier darauf verweisen, dass sie deutlich länger in der Humana-Klinik feststecken!
    Ich schaue zu den beiden hinüber. Die Komapatientin in Bett vier stören wir mit unserem lautstarken Kauen bestimmt nicht, aber während wir unsere ofenfrischen Brötchen frühstücken, quält sich Herr Engels immer noch mit der aufgepumpten Sonde in der Speiseröhre.
    "Was meinst du", frage ich Zentis, "sollen wir nach dem Frühstück den Druck ablassen?"
    "Unbedingt. Die Sonde drückt jetzt schon mehr als zwei Tage auf die Speiseröhre. Das nimmt auch die beste Schleimhaut übel."
    Wir sind uns einig, dass es höchste Zeit wird bei Herrn Engels: Durch den Druck auf die Gefäße wird zwar ein weiteres Bluten in die Speiseröhre hinein vermieden, aber es leidet auch die notwendige Blutversorgung für die Speiseröhre selbst. Ganz abgesehen von der Belästigung, die so ein aufgepumpter Schlauch im Hals für den Patienten bedeutet.
    Also machen wir uns gleich nach dem Frühstück an die Arbeit. Schritt eins ist nicht schwer: Einfach am Schräubchen drehen und damit die Luft aus der Sonde ablassen. Das geht glatt. Schritt zwei ist ebenfalls nicht schwer, aber riskanter: Vorsichtig die Sonde aus der Speiseröhre ziehen. Jetzt werden nicht nur die Krampfadern nicht mehr abgedrückt, sondern, wie beim Abziehen eines Pflasters von einer Wunde, eventuell eine fast verheilte Blutung wieder aufgerissen. Gespannt stehen wir um Herrn Engels herum, Käthe mit dem Finger am Infusionsregler.
    Dann ist die Sonde raus, Herr Engels lächelt sogar, trotz Sedierung, aber natürlich hält weder sein noch unser Glück an. Nach nur einer knappen Minute stößt Herr Engels auf und ein Schwall frischen Blutes ergießt sich in sein Bett und auf den Boden. Käthe stellt die Infusion auf schnellste Einlaufgeschwindigkeit, Renate schiebt den

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