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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Tötungskapazität als seinerzeit eine komplette römische Hundertschaft mit sich herumschleppen.
    Mittlerweile haben SEK-Mann und Begleitung die Bäckerei erreicht, unscharfe Bilder, allgemeines Geschiebe und Gedränge. Natürlich passen nicht alle Fernsehteams in den Verkaufsraum und erst recht nicht gleichzeitig durch die Tür.
    Es gelingt der Reporterin von SAT 1, der Verkäuferin das an einer langen Stange montierte Mikrofon vor den Mund zu schieben. Die Verkäuferin scheint unentschieden, ob sie sich über ihre fünf Minuten Ruhm freuen oder eher nervös sein soll, rettet sich am Ende in ihren Standardtext.
    "Darf's sonst noch was sein?"
    "Nein, danke", antwortet der junge SEK-Beamte höflich und schiebt den Zehn-Euro-Schein über den Ladentisch, den er vorhin mitbekommen hat. "Aber bitte den Kassenbon. Das ist nicht mein Geld."
    Ob Geiselnahme oder nicht, es geht immer ordentlich zu in Deutschland.
    Weil sich inzwischen auch das letzte Fernsehteam mit in die Bäckerei gequetscht hat, wird die nun notwendige Kehrtwende im Ladenraum etwas schwierig. Ich bin froh, dass niemand von uns Sahnetorte zum Frühstück bestellt hat. Eine Zeitlang wackeln die Bilder wieder, rauscht der Ton, aber schließlich sehen wir unseren SEK-Mann auf dem Weg zu uns, eine große Tüte mit Brötchen stolz unter den Arm geklemmt.
    "Ja, ich bin stolz, wenn ich helfen kann."
    Seine Vorgesetzten werden inzwischen gemerkt haben, dass diese Bilder etwas von ihrem misslungenen Bravourstück ablenken. Aber auch der Geiselnehmer hat bei dieser Aktion gewonnen. Nicht nur, dass wir so garantiert schlafmittel- und rattengiftfreie Brötchen bekommen. Er demonstriert, wer die Situation tatsächlich kontrolliert, und sammelt darüber hinaus noch ein paar Sympathiepunkte unter dem Publikum. Sympathiepunkte, die es in naher Zukunft vielleicht schwieriger machen werden, den finalen Todesschuss anzuordnen.
    Der Austausch unseres Patienten Sauerbier gegen die Frühstücksbrötchen wird nicht im Fernsehen übertragen, es ist der Polizei gelungen, die Fernsehleute aus der Klinik herauszuhalten. Der Austausch läuft wie gehabt in Badehosen, aber ohne Komplikationen. Renate hat inzwischen Kaffee gemacht, endlich kann es Frühstück geben.
    Wir platzieren uns rund um den Tresen, nachdem wir die Krankenunterlagen unserer Patienten, diverse Kontrollbögen und anderen Papierkram auf die Seite geschoben haben. Der Geiselnehmer hält Abstand. Auch sein Schäferhund gibt sich gut erzogen, kommt nicht zum Betteln, sondern bleibt in seiner offensichtlichen Lieblingsposition unter Bett vier liegen.
    Nach meinem ersten Baguettebrötchen, ohne Mohn, dafür dunkel, gebe ich einen meiner nächtlichen Gedanken an unseren Aufseher weiter.
    "Diese zwei Millionen Euro - wer eigentlich, meinen Sie, soll die bezahlen?"
    Ha, ich habe ihn erwischt! Er scheint sich Gedanken zu ziemlich vielen Details gemacht zu haben, aber jetzt wirkt er etwas unsicher.
    "Wie meinen Sie das?"
    "Wie ich es sage. Wer soll zahlen? Wenn man zum Beispiel ein Millionärskind entführt, zahlen die Millionärskindeltern. Wenn man eine Bank überfällt, zahlt die Bank. Wenn man Geiseln im deutschen Konsulat in Suez nimmt, zahlt die Bundesregierung."
    "Also Ihre Klinik", leitet unser Geiselnehmer nach kurzem Überlegen aus meinen Beispielen ab.
    Weiß er wirklich so wenig über die miserable Finanzsituation deutscher Krankenhäuser? Im Kopf löse ich eine kleine Rechenaufgabe: Wie lange würde es dauern, die zwei Millionen zusammenzubekommen, würden alle Mitarbeiter der Humana-Klinik zu unseren Gunsten monatlich auf fünf Prozent ihres Gehalts verzichten? Ergebnis: zwanzig Monate, fast zwei Jahre. Ganz abgesehen von der Frage, ob die Kollegen dazu bereit wären. Selbst wenn man berücksichtigt, dass für die zweite Million die Polizei mit ihrem verbockten Einsatz gerade stehen sollte, bleiben immer noch zehn Monate.
    "Ich hoffe", sage ich dem Geiselnehmer, "Sie täuschen sich da nicht."
    "Das hoffe ich auch", antwortet der. "Unter anderem auch in Ihrem Interesse."
    Ich wende mich meinem zweiten Baguettebrötchen zu und damit freundlicheren Gedanken. Unter anderem der Tatsache, dass der Patient Sauerbier aus der Geiselhaft befreit ist, und wir damit von einer ziemlichen Nervensäge. Am besten wäre natürlich, auch ich könnte bald diese traute Runde verlassen. Falls sich dazu nicht die rechte Gelegenheit ergibt, habe ich eine feste Vorstellung, wer als nächster rausgeworfen werden sollte.
    Offenbar habe

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