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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Wahrheit verkriecht sich wie die Pilze, keiner weiß, wieso.«
    »Und wie spürt man sie auf, Clémentine?«
    »Na, genauso wie die Pilze. Man muß an dunklen Stellen jedes einzelne Blatt hochheben. Das dauert bisweil’n.«
     
    Adamsberg erwachte gegen Mittag, zum erstenmal in seinem Leben. Mit gedämpften Schritten war Clémentine umhergehuscht, hatte das Feuer wieder in Gang gebracht und gekocht.
    »Ich habe einen wichtigen Besuch zu machen, Clémentine«, sagte Adamsberg, während er seinen Kaffee trank.
    »Könnten Sie meine Aufmachung erneuern? Ich kann mir zwar den Schädel rasieren, aber ich weiß nicht, wie man meine Hände wieder so weiß hinbekommt.«
    Vom Duschen war Adamsbergs dunkle Haut wieder hervorgetreten, die ganz und gar nicht zu seinem bleichen Gesicht paßte.
    »Ist nicht mein Spezialgebiet«, gestand Clémentine. »Da sollten Sie sich besser an Josette wenden, die besitzt einen kompletten Malkasten. Die braucht eine Stunde, um sich zu schminken.«
    Josette machte sich mit ihren ein wenig zittrigen Bewegungen daran, die Hände des Kommissars mit einer getönten Creme aufzuhellen, dann die ramponierten Stellen im Gesicht und auf dem Hals auszubessern und das Kissen, das ihm Rundungen verlieh, wieder auf dem Bauch zu plazieren.
    »Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag an diesen Computern, Josette?« fragte Adamsberg, während die alte Frau sorgfältig seine grauen Haare frisierte.
    »Ich leite um, ich gleiche aus, ich teile zu.«
    Adamsberg versuchte nicht, dieser rätselhaften Antwort auf den Grund zu gehen. Unter anderen Umständen hätten ihn Josettes Beschäftigungen durchaus interessieren können, nicht aber unter diesen extremen Bedingungen. Er hielt das Gespräch aus Höflichkeit aufrecht und auch weil ihm Retancourts Vorwürfe nahegegangen waren. Josette modulierte ganz zart ihre zittrige Stimme, und Adamsberg erkannte in der Tat darin einen Nachklang von großbürgerlicher Art.
    »Haben Sie schon immer in der Computerbranche gearbeitet?«
    »Ich habe erst mit ungefähr Fünfundsechzig angefangen.«
    »Es ist nicht leicht, sich damit vertraut zu machen.«
    »Ich komm klar«, erwiderte die alte Frau mit ihrem zerbrechlichen Timbre.

42
     
    Der Divisionnaire Brézillon wohnte sehr vornehm in der Avenue de Breteuil und kam nicht vor achtzehn oder neunzehn Uhr nach Hause. Und aus sicherer Quelle, das heißt dem Gerüchtezimmer, wußte man, daß seine Frau den Herbst im regnerischen England verbrachte. Wenn es einen Ort in Frankreich gab, an dem die Bullen dem Flüchtigen nicht auflauern würden, war es hier.
    Um siebzehn Uhr dreißig drang Adamsberg seelenruhig mit seinem Dietrich in die Wohnung ein. Er ließ sich in einem stattlichen Salon nieder, dessen Wände mit Büchern bedeckt waren, Jura, Verwaltung, Bullenkram und Dichtung. Vier genau abgesteckte Interessenfelder, die, sauber getrennt voneinander, auf den Regalen verteilt waren. Sechs Reihen Dichtung, viel üppiger als beim Dorfpfarrer. Während er darauf achtgab, daß er kein Make-up auf den kostbaren Einbänden hinterließ, blätterte er auf der Suche nach der ins Sternenfeld geworfenen Sichel in den Bänden von Victor Hugo. Ein Sternenfeld, das er im Moment über Detroit ausgemacht hatte, ohne daß er aber die Sichel hatte loshaken können. Gleichzeitig sagte er sich seine Rede her, die er für den Divisionnaire vorbereitet hatte, eine Version, an die er kaum oder überhaupt nicht glaubte, und dennoch die einzige, die seinen Vorgesetzten vielleicht überzeugen konnte. Leise wiederholte er für sich ganze Sätze daraus, wobei er sich Mühe gab, die Abgründe seiner Zweifel darin zu verbergen und einen aufrichtigen Ton anzuschlagen.
    Kaum eine Stunde später drehte sich der Schlüssel im Schloß, und Adamsberg legte das Buch auf seine Knie. Brézillon schrak tatsächlich zusammen und hätte beim Anblick eines ihm unbekannten Jean-Pierre Emile Roger Feuillet, der in seinem Salon saß, beinahe aufgeschrien. Adamsberg legte einen Finger auf seine Lippen, ging auf ihn zu, griff behutsam seinen Arm und führte ihn zu dem Sessel, der dem seinen gegenüberstand. Der Divisionnaire war mehr verblüfft als erschrocken, sicher weil Jean-Pierre Émiles äußere Erscheinung nur wenig angsteinflößend war. Dazu der Überraschungseffekt, der ihn für einen kurzen Augenblick sprachlos werden ließ.
    »Psst, Monsieur le Divisionnaire. Wir sollten jeglichen Lärm vermeiden. Das könnte Ihnen nur schaden.«
    »Adamsberg«, sagte Brézillon, der

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