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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Selbstverständlichkeit einen seiner tüchtigsten Kollegen anrief. Eine dürres altes Weiblein mit listiger Miene, das in Hausschuhen und mit Klunkern an den Ohren in verbotene Kanäle hinabstieg. Welche sie wohl an diesem Abend trug? Die mit den Perlen oder vielleicht die goldenen, in der Form eines Kleeblatts?
    »Josette? Störe ich Sie?«
    »Überhaupt nicht, ich bastle gerade an einem Safe in der Schweiz herum.«
    »Josette, in dem Sarg war Sand. Und ich glaube, daß ich den Mord entdeckt habe, der am Anfang von allem steht.«
    »Warten Sie, Kommissar, ich hole was zum Schreiben.«
    Adamsberg hörte, wie im Hintergrund des Flurs Clémentines laute Stimme erscholl.
    »Wenn ich dir doch sage, daß er kein Kommissar mehr ist!«
    Josette antwortete ihrer Freundin und gab mit ein paar Worten die Geschichte mit dem Sand an sie weiter.
    »Wie schön«, sagte Clémentine.
    »Ich bin wieder da, ich bin bereit«, meldete sich Josette.
    »Eine Mutter, die von ihrem Sohn umgebracht wurde, im Jahr 1944. Es war noch vor der Landung der Alliierten, ungefähr im März oder April. Es geschah in der Sologne, nach der Beerdigung des Vaters.«
    »Und drei Löcher auf einer Linie?«
    »Ja. Der junge Mörder, fünfundzwanzig Jahre alt, ist entwischt. Aber an den Namen der Familie kann ich mich nicht erinnern, auch nicht an den Ort.«
    »Und es ist alt. Das muß ja in Stahlbeton versackt sein. Ich mache mich auf, Kommissar.«
    »Wenn ich dir doch sage, daß er’s nicht mehr ist«, sagte die Stimme im Hintergrund. »Es ist wirklich nicht zu glauben, meine Josette.«
    »Josette, rufen Sie mich zu jeder Zeit an.«
    Adamsberg brachte sein Mobiltelefon vor dem Regen in Sicherheit und ging langsam zum Hotel zurück. Jeder hatte zu dieser Geschichte etwas geäußert, etwas, das unter einem bestimmten Gesichtspunkt auch zutraf. Sanscartier, Mordent, Danglard, Retancourt, Raphaël, Clémentine. Vivaldi natürlich. Doktor Courtin und Pfarrer Grégoire. Josette. Sogar Kardinal Richelieu. Und vielleicht auch Trabelmann mit seinem verfluchten Münster.
     
    Josette rief um zwei Uhr morgens zurück.
    »Also«, verkündete sie wie gewohnt. »Ich mußte übers Nationalarchiv gehen und dann noch einmal auf die Dachböden der Polizei steigen. Beton, ich hatte es Ihnen ja gesagt.«
    »Tut mir leid, Josette.«
    »Macht nichts, im Gegenteil. Clémie hat mir eine Schale Kaffee mit Armagnac und warme Brötchen zubereitet. Sie hat mich umsorgt wie einen U-Boot-Matrosen, der seinen Torpedo vorbereitet. Am 12. März 1944 fand in dem Dorf Collery im Département Loiret die Beisetzung von Gérard Guillaumond statt, verstorben im Alter von einundsechzig Jahren.«
    »In einem Teich ertrunken?«
    »So ist es. Ob Unfall oder Selbstmord, hat man nie erfahren. Sein altersschwacher Kahn ist mitten auf dem See gesunken. Nach der Beerdigung, als alle Trauergäste aus dem Haus waren, hat der Sohn, Roland Guillaumond, seine eigene Mutter, Marie Guillaumond, umgebracht.«
    »Ich erinnere mich an einen Zeugen, Josette.«
    »Ja, die Köchin. Sie hat im oberen Stockwerk Geschrei gehört. Sie ist hinaufgestiegen, und da kam ihr der junge Mann auf der Treppe entgegengerannt und hat sie umgerempelt. Er kam aus dem Zimmer seiner Mutter. Die Köchin fand ihre Hausherrin bereits tot vor. Es war niemand sonst im Haus. Es hat nie irgendeinen Zweifel an der Identität des Mörders gegeben.«
    »Hat man ihn verhaftet?« fragte Adamsberg ängstlich.
    »Nie. Man nimmt an, daß er im Maquis untergetaucht und dort womöglich ums Leben gekommen ist.«
    »Haben Sie Fotos von ihm gefunden? In der Presse?«
    »Nein, kein einziges. Es war Krieg, Sie verstehen. Die Köchin ist inzwischen tot, ich hab’s im Personenstandsregister überprüft. Kommissar, sollte dieser Mörder etwa unser Richter sein? 1944 war er vierzig Jahre alt.«
    »Ziehen Sie fünfzehn Jahre ab, Josette.«

49
     
    Gardinen wurden vorsichtig beiseite geschoben, als der Fremde vorbeiging. Adamsberg lief unschlüssig durch die engen Straßen von Collery. Der Mord hatte vor neunundfünfzig Jahren stattgefunden, und er würde hier ein lebendes Gedächtnis finden müssen. Der kleine Marktflecken roch nach feuchtem Laub, und der Wind trug den modrigen Geruch von den grünen Oberflächen der Sologne-Teiche herüber. Kein Vergleich mit der majestätischen Ordnung von Richelieu. Ein ländlicher Ort mit unregelmäßig gebauten Häusern, dicht an dicht.
    Ein Kind zeigte ihm, wo auf dem Marktplatz der Bürgermeister wohnte. Er stellte

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