Der vierzehnte Stein
Mein armer Gérard, eher bekommen die Hühner Zähne, als daß du eine reine Trumpfhand kriegst. Auf diese Weise demütigte sie ihn, wie gewöhnlich. Trumpfhand hieß, eine gutes Spiel zu machen, so wie wenn man ein Karo As aufdeckt. Wie viele Male hatte er diesen verfluchten Satz gehört, und in welchem Ton, Kommissar! Doch Gérard lachte nur darüber und bekam keine Trumpfhand. Sie übrigens auch nicht. Marie Guillaumond, stets in Weiß gekleidet, um auch ja jeden noch so kleinen Fleck auf ihren Kleidern sofort zu erkennen. Als wenn man sich in Collery um so was scheren würde. In den Küchen nannte man sie hinter ihrem Rücken »den weißen Drachen«. Es stimmt wirklich, diese Frau hat ihn, den Gérard, kaputtgemacht.
»Und Roland?« fragte Adamsberg.
»Sie hat ihm was eingetrichtert, anders kann man’s nicht sagen. Sie wollte, daß er Karriere macht in der Stadt, daß er Jemand wird. ›Du, mein Roland, wirst nicht so ein Versager wie dein Vater. Du wirst kein Nichtsnutz.‹ Na, und dann hat er sich auch bald für was Besseres gehalten, besser als wir anderen Jungs in Collery. Er spielte den Angeber und tat sehr vornehm. Aber im Grunde war’s der weiße Drache, der nicht wollte nicht, daß er mit uns verkehrte. Wir wären nicht gut genug für ihn, sagte sie zu ihm. Und am Ende wurde Roland wirklich kein angenehmer Mensch wie sein Vater, nein. Er war ein Schweiger, stolz, und wehe dem, der Streit mit ihm suchte. Angriffslustig und böse wie ein Ganter.«
»Schlug er sich?«
»Er drohte. Offen gesagt, als wir noch keine fünfzehn waren, hatten wir manchmal Spaß daran, nahe beim Teich Frösche zu fangen, die wir dann mit einer Zigarette explodieren ließen. Ich behaupte nicht, daß so was sehr hübsch ist, aber wir hatten nicht viel Ablenkung in Collery.«
»Frösche oder Kröten?«
»Frösche. Grüne Laubfrösche. Wenn man ihnen eine Zigarette ins Maul steckt, fangen sie an einzuatmen, und ploff, explodieren sie. Das muß man gesehen haben, um es zu glauben.«
»Ich kann’s mir vorstellen.«, sagte Adamsberg.
»Nun, wie oft kam der Roland mit seinem Messer an und, krack, schnitt er dem Frosch gleich den Kopf ab. Das Blut, das spritzte nach allen Seiten. Gut, letztlich, das gebe ich zu, lief’s auf dasselbe hinaus. Will sagen, der Frosch war tot. Aber wir fanden immer, daß die Art, wie man’s macht, doch ein Unterschied wäre, und seine Art mochten wir nicht. Danach wischte er am Gras das Blut von der Klinge und ging. Als wollte er uns beweisen, daß er es immer noch ärger treiben konnte als wir.«
Während André sich randvoll nachschenkte, versuchte Adamsberg seinen Schnaps so langsam wie möglich zu trinken.
»Es gab nur einen Haken«, fügte André hinzu. »Und zwar verehrte Roland, so gehorsam, wie er auch sein mochte, seinen Vater, das kann ich wohl sagen. Er konnte es nicht ertragen, wie der weiße Drache ihn behandelte. Er sagte nichts, aber ich sah genau, daß er abends beim Mah-Jongg die Fäuste ballte, wenn sie ihre Sprüche abließ.«
»War er schön?«
»Wie ein Gott. Kein Mädchen in Collery, das ihn nicht angehimmelt hätte. Wir anderen sahen wie absolute Nichtse gegen ihn aus. Doch Roland schaute die Mädchen nicht an, man konnte meinen, er sei in dieser Hinsicht nicht normal. Danach ging er in die Stadt und studierte, der Herr. Er war enorm ehrgeizig.«
»Er studierte Jura.«
»Ja. Und dann geschah, was geschehen ist. Es konnte ja nichts Gutes herauskommen, bei all der Bosheit im Hause. Auf der Beerdigung des armen Gérard hat die Mutter nicht mal eine Träne vergossen. Ich hab immer gedacht, daß sie auf dem Rückweg wieder eine Gemeinheit von sich gegeben hat.«
»Zum Beispiel?«
»Irgendwas in ihrer Art. ›Nun sind wir diesen Schafskopp endlich los.‹ Irgend so eine Niederträchtigkeit, die sie gewöhnlich sagte. Und nach all dem Kummer auf dem Begräbnis muß Roland aus der Haut gefahren sein. Ich verteidige ihn nicht, aber ich hab meine Meinung dazu. Er muß den Kopf verloren, sich das Werkzeug seines Vaters gegriffen haben und ihr ins obere Stockwerk nachgelaufen sein. Und dann ist’s passiert. Er hat den alten weißen Drachen umgebracht.«
»Mit dem Dreizack?«
»Das hat man zumindest angenommen, wegen der Wunde und weil das Werkzeug verschwunden war. Gérard hat im Haus unaufhörlich an seinem Dreizack herumgebastelt, hat ihn ins Feuer gelegt, die Spitzen geradegebogen und nachgeschliffen. Weil er sorgsam mit seinem Werkzeug umging. Einmal ist dem Dreizack
Weitere Kostenlose Bücher