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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Ist Ihnen aber sowieso egal, nehme ich an?«
    »Heute schon, ja.«
    »Mir immer. Diese alten Klötzer sagen mir gar nichts, wahr und wahrhaftig. Denken Sie nur, ich hab dieses Ding hundertmal gesehen, aber ich mag so was nicht.«
    »Und was mögen Sie, Trabelmann?«
    »Meine Frau, meine Kinder, meinen Job.«
    Einfach.
    »Und Märchen. Ich liebe Märchen.«
    Weniger einfach, korrigierte sich Adamsberg.
    »Aber Märchen sind doch schließlich auch alte Dinger«, sagte er.
    »Ja, sehr viel älter als Ihr Kerl da. Aber erzählen Sie trotzdem weiter.«
    »Könnten wir zuerst beim Leichenschauhaus vorbeifahren?«
    »Um Ihre kleinen Messungen vorzunehmen, nehme ich an? Kein Problem.«
     
    Adamsberg brachte seinen Bericht zu Ende, als sie das gerichtmedizinische Institut betraten. Wenn er wie in diesem Moment vergaß, sich geradezuhalten, war der Commandant nicht viel größer als er.
    »Was?« schrie Trabelmann und blieb wie angewurzelt mitten in der Halle stehen. »Richter Fulgence? Sind Sie verrückt, Kommissar?«
    »Und weiter?« fragte Adamsberg ruhig. »Was stört Sie daran?«
    »Verdammt, wissen Sie nicht, wer das ist, Richter Fulgence? Da hört das Märchen ja wohl auf! Das ist, als würden Sie mir sagen, daß der Märchenprinz Feuer speit, und nicht der Drache.«
    »Schön wie ein Prinz, ja, aber das hindert ihn nicht daran, Feuer zu speien.«
    »Sind Sie sich darüber im klaren, Adamsberg? Es gibt ein Buch über Fulgences Prozesse. Und es hat nicht gerade jeder Justizbeamte im Land ein Anrecht auf ein Buch, nicht? Er war ein bedeutender Mensch, ein Gerechter.«
    »Gerecht? Er mochte weder Frauen noch Kinder. Nicht wie Sie, Trabelmann.«
    »Ich vergleiche nicht. Er war eine große Persönlichkeit, die alle respektierten.«
    »Fürchteten, Trabelmann. Er hatte eine scharfe und schwere Hand.«
    »Gerechtigkeit muß ja auch durchgreifen können.«
    »Und eine lange. Von Nantes aus konnte er noch den Gerichtshof in Carcassonne erzittern lassen.«
    »Weil er Autorität besaß und Einschätzungsvermögen. Es ist wirklich zum Lachen, Adamsberg, immerhin ist es zum Lachen.«
    Ein Mann in Weiß kam auf sie zugeeilt.
    »Etwas mehr Respekt, meine Herren.«
    »Hallo, Ménard«, unterbrach ihn Trabelmann.
    »Verzeihung, Commandant, ich habe Sie nicht erkannt.«
    »Ich möchte Ihnen einen Kollegen aus Paris vorstellen, Kommissar Adamsberg.«
    »Ich kenne Sie dem Namen nach«, sagte Ménard und gab ihm die Hand.
    »Er ist ein Spaßvogel«, erklärte Trabelmann. »Ménard, führen Sie uns zum Fach von Elisabeth Wind.«
     
    Ménard schlug dienstbeflissen das Leichentuch zurück und deckte die junge Tote auf. Adamsberg betrachtete sie einige Augenblicke ohne eine Regung, ließ dann sanft den Kopf zur Seite kippen, um die Blutergüsse im Nacken zu begutachten. Danach konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die Einstiche im Bauch.
    »In meiner Erinnerung«, sagte Trabelmann, »sind das so etwa einundzwanzig oder zweiundzwanzig Zentimeter Länge.«
    Adamsberg schüttelte zweifelnd den Kopf und holte ein Maßband aus seiner Tasche.
    »Helfen Sie mir, Trabelmann. Ich habe nur eine Hand.«
    Der Commandant entrollte das Maß über der Leiche. Adamsberg legte das Ende genau an den äußeren Rand der ersten Wunde und zog das Band bis zur äußeren Begrenzung der dritten.
    »16,7 Zentimeter, Trabelmann. Nie mehr, ich sagte es Ihnen.«
    »Zufall, wahrhaftig.«
    Ohne zu antworten legte Adamsberg ein Holzlineal als Orientierungshilfe an und maß die maximale Höhe der Wundlinie.
    »0,8 Zentimeter«, verkündete er und rollte sein Maßband wieder auf.
    Trabelmann, ein wenig verwirrt, ruckte kurz mit dem Kopf.
    »Ich nehme an, die Tiefe der Einstiche können Sie mir auf der Wache liefern«, sagte Adamsberg.
    »Ja, auch das Stecheisen und den Mann, der es in der Hand hielt. Mit seinen Fingerabdrücken drauf.«
    »Sie werden aber trotzdem ein bißchen in meinen Akten blättern?«
    »Ich bin nicht weniger professionell als Sie, Kommissar. Ich übergehe keine Spur.«
    Trabelmann hatte wieder einen kurzen Lachanfall, ohne daß Adamsberg einen Grund dafür sah.
    Auf der Polizeiwache in Schiltigheim legte Adamsberg seinen Aktenstapel auf dem Schreibtisch des Commandant ab, während ein Brigadier ihm das Stecheisen in einer Plastiktüte brachte. Das Werkzeug war von herkömmlicher Art und vollkommen neu, wäre nicht das getrocknete Blut gewesen, mit dem es beschmiert war.
    »Wenn ich Sie richtig verstehe«, sagte Trabelmann und setzte sich an seinen

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