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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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weiß nicht, wie ich Sie davon überzeugen soll. Sie haben ihn nicht kennengelernt.«
    »Trotzdem«, wiederholte Danglard. »Er hört 1983 auf und fängt zwanzig Jahre später wieder an? Das ergibt keinen Sinn.«
    »Wer sagt Ihnen denn, daß er zwischendurch nicht weitergemordet hat?«
    »Na, Sie. Sie haben doch die Tagespresse ständig verfolgt. Und dennoch war zwanzig Jahre lang nichts zu vermelden.«
    »Ganz einfach, weil ich die Nachforschungen 1987 eingestellt habe. Ich sagte Ihnen doch, daß ich ihn vierzehn Jahre lang gejagt habe, und nicht dreißig.«
    Danglard hob überrascht den Kopf.
    »Und warum haben Sie aufgehört? Waren Sie müde geworden? Unter Druck gesetzt?«
    Adamsberg stand auf und ging eine Weile im Zimmer umher, den Kopf zu seinem angewinkelten Arm geneigt. Dann kam er zum Tisch zurück, stützte sich mit der rechten Hand darauf und beugte sich zu seinem Stellvertreter.
    »Weil er 1987 gestorben ist.«
    »Wie bitte?«
    »Gestorben. Der Richter Fulgence ist vor sechzehn Jahren eines natürlichen Todes gestorben, am 19. November 1987 in Richelieu, wo er zuletzt gewohnt hat. Herzinfarkt, bestätigt durch medizinisches Gutachten.«
    »Großer Gott, sind Sie sicher?«
    »Natürlich. Ich habe es sofort erfahren und war auf seiner Beerdigung. Es stand in allen Zeitungen. Ich habe gesehen, wie sein Sarg in die Grube sank und die Erde das Monster bedeckte. Und an diesem schwarzen Tag habe ich die Hoffnung aufgegeben, jemals die Unschuld meines Bruders beweisen zu können. Der Richter war mir für immer entwischt.«
    Ein langes Schweigen trat ein, Danglard wußte nicht, wie er es unterbrechen sollte. Mechanisch und wie benommen strich er die Akten glatt.
    »Nur zu, Danglard, reden Sie. Legen Sie los. Wagen Sie’s.«
    »Schiltigheim«, murmelte Danglard.
    »Genau. Schiltigheim. Der Richter kehrt aus der Hölle zurück, und ich bekomme aufs neue meine Chance. Begreifen Sie? Meine Chance. Und diesmal lasse ich sie mir nicht entgehen.«
    »Wenn ich Sie richtig verstehe«, sagte Danglard zögernd, »hätte er einen Schüler, einen Sohn oder Nachahmer?«
    »Nichts dergleichen. Keine Frau, kein Kind. Der Richter ist ein einsamer Räuber. Schiltigheim ist sein Werk und nicht das eines Nachahmers.«
    Vor Beunruhigung fehlten dem Capitaine die Worte. Er schwankte und entschloß sich zu einer wohlwollenden Bemerkung.
    »Dieser jüngste Mord hat Sie tief getroffen. Es ist ein schrecklicher Zufall.«
    »Nein, Danglard, nein.«
    »Kommissar«, sagte Danglard ruhig, »der Richter ist seit sechzehn Jahren tot. Er ist längst zu Staub zerfallen.«
    »Und? Was kümmert mich das? Für mich zählt nur das junge Mädchen aus Schiltigheim.«
    »Herrgott noch mal«, regte sich Danglard auf, »woran glauben Sie denn? An Auferstehung?«
    »Ich glaube an Taten. Er ist es, und das ist meine Chance. Übrigens hatte ich auch deutliche Zeichen.«
    »Was denn für ›Zeichen‹?«
    »Zeichen, Alarmsignale. Die Kellnerin in der Bar, das Plakat, die Reißzwecken.«
    Jetzt stand auch Danglard auf, er war fassungslos.
    »›Zeichen‹, o mein Gott! Werden Sie jetzt Mystiker? Wem jagen Sie hinterher, Kommissar? Einem Gespenst? Einem Geist? Einem Untoten? Und wo soll der wohnen? In Ihrem Schädel?«
    »Ich jage dem Dreizack hinterher. Der noch vor kurzem in der Nähe von Schiltigheim gewohnt hat.«
    »Er ist tot! Tot!« schrie Danglard.
    Unter dem erschreckten Blick des Capitaine machte sich Adamsberg daran, mit seiner einen Hand sorgfältig die Akten wieder in seine Tasche zu räumen, Stück für Stück.
    »Was kann der Tod schon dem Teufel anhaben, Danglard?«
    Dann griff er seine Jacke, hob seinen gesunden Arm in einer Geste des Abschieds und ging.
    Danglard sank erschüttert auf den Stuhl zurück und hob die Bierdose an den Mund. Verloren. Adamsberg war verloren, in eine Spirale des Wahnsinns hineingesogen. Reißzwecken, eine Barkellnerin, ein Plakat und ein Untoter. Er hatte sich viel weiter verirrt, als er befürchtet hatte. Kaputt, verloren, davongetragen von einem bösen Wind.
     
    Nach wenigen Stunden Schlaf kam er mit Verspätung in die Brigade. Auf seinem Schreibtisch lag eine Nachricht für ihn. Adamsberg hatte den Frühzug nach Straßburg genommen. Und wäre am nächsten Tag zurück. Danglard dachte an Commandant Trabelmann und betete für seine Langmut.

10
     
    Von weitem, wie er da auf dem Bahnhofsvorplatz in Straßburg stand, hatte Commandant Trabelmann etwas von einem vierschrötigen kleinen Kerl. Adamsberg übersah seinen

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