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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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bin, in der Absicht, mich vollaufen zu lassen. Was ich auch mit aller Entschlossenheit getan habe, bis mich der wachsame Barkeeper rausgeschmissen hat. Ich brabbelte irgendwas über meine Großmutter, er hatte schließlich die Nase voll.«
    Danglard stimmte ihm vorsichtig zu, da er nicht wußte, worauf Adamsberg hinauswollte.
    »Auf dem Pfad dann habe ich mich von Baum zu Baum vorangetastet, und deshalb konnte ich auch diesem Ast nicht ausweichen.«
    »Ich verstehe.«
    »Was Sie auch nicht wissen, ist, daß es bei dem Zusammenprall elf Uhr abends war, und nicht später. Ich war fast auf der Hälfte der Strecke, wahrscheinlich ganz in der Nähe der Baustelle. Dort, wo sie wieder junge Ahornbäume pflanzen.«
    »Einverstanden«, sagte Danglard, der nie Lust gehabt hatte, diesen verwilderten und dreckigen Pfad zu betreten.
    »Als ich aufgewacht bin, hatte ich das Ende erreicht. Ich habe mich bis zum Wohnblock geschleppt. Dem Nachtwächter habe ich gesagt, daß es ein Prügelei zwischen den Cochs und einer Gang gegeben hätte.«
    »Was stört Sie denn daran? Das Besäufnis?«
    Adamsberg schüttelte langsam den Kopf.
    »Was Sie nicht wissen, ist, daß zwischen dem Ast und meinem Erwachen zweieinhalb Stunden vergangen waren. Ich hab’s durch den Wachmann erfahren. Zweieinhalb Stunden für eine Strecke, die ich zu normalen Zeiten in einer halben Stunde zurückgelegt hätte.«
    »Gut«, faßte Danglard in noch immer sachlichem Ton zusammen. »Sagen wir mal, zumindest eine schwierige Strecke.«
    Adamsberg beugte sich leicht zu ihm hinüber.
    »An die ich nicht die geringste Erinnerung habe«, hämmerte er. »Nichts. Kein einziges Bild, kein Geräusch. Zweieinhalb Stunden auf dem Pfad, ohne daß ich irgend etwas davon wüßte. Totaler Filmriß. Und es waren minus zwölf Grad. Ich kann nicht zwei Stunden lang bewußtlos gewesen sein. Ich wäre doch erfroren.«
    »Der Schock«, schlug Danglard vor, »der Ast.«
    »Keine Schädelverletzung. Ginette hat’s überprüft.«
    »Der Alkohol?« legte der Capitaine behutsam nahe.
    »Natürlich. Deshalb komme ich ja auch zu Ihnen.«
    Danglard richtete sich erleichtert auf, er war wieder in seinem Element und die Auseinandersetzung vermieden.
    »Was hatten Sie denn getrunken? Erinnern Sie sich daran?«
    »Ich erinnere mich an alles bis zu dem Ast. Drei Whiskey, vier Gläser Wein und eine ordentliche Portion Cognac.«
    »Gute Mischung und respektable Mengen, aber ich habe schon Schlimmeres mitgemacht. Dennoch, Ihr Körper ist nicht daran gewöhnt, und das muß man natürlich berücksichtigen. Was waren denn Ihre Symptome, abends und am nächsten Tag?«
    »Keine Beine mehr. Immer gerechnet von dem Ast an. Schädel wie Blei, Erbrechen, Slack im Bauch, Drehwurm, Schwindel aller Art.«
    Der Capitaine verzog ein wenig das Gesicht.
    »Was bekümmert Sie, Danglard?«
    »Ich muß den Bluterguß mit bedenken. Ich bin noch nie zugleich besoffen gewesen und niedergeschlagen worden. Aber bei diesem wuchtigen Schlag gegen die Stirn und der darauffolgenden Ohnmacht ist der Gedächtnisverlust durch Alkohol sehr wahrscheinlich. Nichts sagt uns, daß Sie diesen Pfad nicht rauf- und runtergelaufen sind in den zwei Stunden.«
    »Zweieinhalb«, berichtigte Adamsberg. »Gelaufen bin ich schon. Trotzdem, als ich aufwachte, lag ich wieder am Boden.«
    »Gelaufen, gestürzt, hin und her geschlingert. Wir haben ja schon viele solcher besoffenen Typen eingesammelt, die dann in unseren Armen plötzlich weggekippt sind.«
    »Ich weiß, Danglard. Und trotzdem stört es mich.«
    »Verständlich. Selbst mir, und Gott weiß, wie sehr ich’s gewohnt war, waren diese fehlenden Stunden nie besonders angenehm. Ich habe immer meine Saufkumpane gefragt, was ich gesagt und getan habe. Aber wenn ich, wie Sie an jenem Abend, ganz allein war, ohne einen Menschen, der mich aufklären konnte, also dann hielt das Unbehagen über diesen Verlust bei mir sehr lange an.«
    »Tatsächlich?«
    »Tatsächlich. Der Eindruck, man hätte ein paar Stufen seines Lebens verpaßt. Man fühlt sich irgendwie geplündert, enteignet.«
    »Danke, Danglard, danke für die Hilfe.«
     
    Die Aktenstapel schrumpften nur langsam. Während er das ganze Wochenende damit zubrachte, hoffte Adamsberg, am Montag wieder für Außendienst und Dreizack bereit zu sein. Der Vorfall mit dem Pfad löste bei ihm den etwas unlogischen Drang aus, sich schnellstens von seinem Erzfeind zu befreien, der seinen Schatten auf jede seiner Handlungen warf, auf die Kratzspuren

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