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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Boden.
    »Sie folgen mir nicht mehr, Danglard. Sie haben sich von mir distanziert.«
    »Wohin sollte ich Ihnen denn folgen?« Danglard hob die Stimme. »In Gräber?«
    Adamsberg schüttelte den Kopf.
    »Distanziert, Danglard«, wiederholte er. »Sie kehren mir den Rücken, was auch immer ich zu Ihnen sage. Weil Sie sich entschieden haben. Für den Anderen.«
    »Das hat nichts mit dem Anderen zu tun.«
    »Womit dann?«
    »Ich hab genug davon, Tote zu suchen.«
    Resigniert zuckte Adamsberg mit den Achseln.
    »Wirklich schade, Danglard. Wenn Sie mir nicht helfen wollen, werde ich es allein tun. Ich muß ihn sehen, und ich muß mit ihm sprechen.«
    »Und wie?« fragte Danglard durch die Zähne hindurch.
    »Über Tischerücken?«
    »Wieso Tische?«
    Der Capitaine forschte im erstaunten Blick des Kommissars.
    »Er ist doch tot!« schrie Danglard. »Tot! Wie gedenken Sie denn, die Zusammenkunft zu arrangieren?«
    Adamsberg schien auf der Stelle zu erstarren, das Leuchten in seinem Gesicht erlosch wie in der Dämmerung.
    »Er ist tot?« wiederholte er leise. »Wissen Sie das genau?«
    »Herrgott noch mal, Sie selbst haben es mir doch erzählt! Daß Sie Ihren Bruder verloren haben. Daß er sich nach dieser Geschichte umgebracht hat.«
    Adamsberg lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und atmete tief durch.
    »Jetzt dämmert’s langsam, mein Lieber, ich dachte, Sie wüßten etwas Neues. Ich habe meinen Bruder verloren, ja, vor fast dreißig Jahren. Das heißt, er hat sich zurückgezogen, und ich habe ihn nie wiedergesehen. Aber, großer Gott, er ist noch immer am Leben. Und ich muß ihn sehen. Wir werden nicht Tische rücken, Danglard, sondern Software befragen. Sie werden ihn via Internet suchen: Mexiko, Vereinigte Staaten, Kuba und anderswo. Immer auf Wanderschaft, war er in vielen Städten, hatte viele Berufe, zumindest am Anfang.«
    Der Kommissar malte mit dem Finger Kurven auf den Tisch, wobei seine Hand den ruhelosen Weg seines Bruders nachzeichnete. Nur mit Mühe konnte er weiterreden.
    »Vor fünfundzwanzig Jahren war er Gemischtwarenhändler im Staat Chihuahua, nahe der Grenze zu den Vereinigten Staaten. Er hat Kaffee verkauft, Geschirr, Wäsche, Meskal, Bürsten. Auch Porträts, die er auf öffentlichen Plätzen zeichnete. Er ist ein großartiger Zeichner.«
    »Tut mir aufrichtig leid, Kommissar«, sagte Danglard.
    »Ich hatte etwas völlig anderes verstanden. Sie sprachen von ihm wie von einem, der von uns gegangen ist.«
    »Das ist er ja auch.«
    »Haben Sie keine genaueren, aktuelleren Auskünfte?«
    »Meine Mutter und ich meiden dieses Thema. Aber vor vier Jahren habe ich im Dorf eine Postkarte gefunden, die in Puerto Rico aufgegeben worden war. Er umarmte sie. Das war der letzte Hinweis.«
    Danglard notierte sich ein paar Zeilen auf einem Blatt.
    »Sein vollständiger Name?« fragte er.
    »Raphaël Félix Franck Adamsberg.«
    »Sein Geburtsdatum und -ort, Eltern, Schulabschlüsse, Interessenfelder?«
    Adamsberg lieferte ihm alle Informationen, von denen er wußte.
    »Werden Sie es tun, Danglard? Werden Sie ihn suchen?«
    »Ja«, brummte Danglard, der es sich übelnahm, Raphaël vorzeitig unter die Erde gebracht zu haben. »Zumindest werde ich’s versuchen. Aber natürlich hat bei der ganzen liegengebliebenen Arbeit hier anderes Vorrang.«
    »Es wird langsam dringend. Der Fluß hat seine Dämme durchbrochen, ich sagte es Ihnen.«
    »Es gibt andere Dringlichkeiten«, murrte der Capitaine.
    »Und heute ist Samstag.«
    Der Kommissar traf Retancourt dabei, wie sie auf ihre Weise den wieder einmal blockierten Fotokopierer reparierte. Er informierte sie über ihren Auftrag und die Abflugzeit. Brézillons Befehl entlockte ihr trotz allem einen Ausdruck des Erstaunens. Sie löste ihren kurzen Pferdeschwanz und band ihn mechanisch wieder zusammen. Eine Art, die Zeit zu unterbrechen und nachzudenken. Man konnte sie also doch überraschen.
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Was ist denn los?«
    »Ich weiß nichts Genaues, Retancourt, aber wir werden noch einmal fliegen müssen. Sie verlangen nach meinen Augen. Tut mir leid, daß der Divisionnaire Sie für diese Aufgabe bestimmt hat. Als Geleitschutz«, präzisierte er.
     
    Eine halbe Stunde vor dem Abflug, Adamsberg saß schweigend im Wartebereich neben seinem blonden, kräftigen Lieutenant, sah er Danglard zwischen zwei Wachmännern des Flughafenpersonals hereinkommen. Der Capitaine sah müde aus und war außer Atem. Er war gerannt. Nie im Leben hätte Adamsberg das

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