Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Autoren: Frank Patalong
Vom Netzwerk:
empfindlich, war aber doch sehr unangenehm im Munde und gab vor dem Auge das Gefuhl eines Lichtes.
    U nsere wissenschaftlich interessierten Hufbeschlager hatten das Pferd offensichtlich mit Elektroschocks konditioniert, Pawlow lässt grüßen. In der amerikanischen, französischen und deutschen Wissenschaftspresse wurde all das nicht etwa als Tierquälerei aufgenommen, sondern als nützliche Entdeckung – man kann davon ausgehen, dass das heute anders wäre.

2
KOMMUNIKATION
UND MUSIK
Telefongeschichte(n): Die Vernetzung der Welt
    Am 30. Mai 1887 verließ Julian West die abendliche Gesellschaft im Elternhaus seiner Verlobten Edith Bartlett früher als geplant. Edith hatte Verständnis dafür: Wie ihr bekannt war, litt West unter Phasen hartnäckiger Schlaflosigkeit und hatte bereits seit Tagen keine echte Ruhe mehr gefunden. Er beschloss darum, den von ihm des Öfteren frequentierten Heiler Dr. Pillsbury wieder einmal um seine Hilfe zu bitten. Der, so gestand West sich ein, war zwar eher Kurpfuscher als Arzt, beherrschte aber die Kunst des animalischen Magnetismus wie kaum ein anderer. Pillsbury magnetisierte seine Patienten stets zuverlässig in einen tiefen Schlummer.
    Auch Julian West sollte an diesem Abend durch die damals zwar umstrittene, aber dennoch rege genutzte Hypnosis tiefe Ruhe finden. Doch wie wir wissen, ist keine wirksame Behandlung frei vom Risiko der Nebenwirkung: So schlief West zwar ein, ohne Opium oder andere der sonst üblichen beruhigenden Substanzen bemühen zu müssen, nur leider schlief er derart tief, dass er erst 100 Jahre später wieder erwachte. Zu dumm: West wurde quasi im Schlaf zum Zeitreisenden.
    Vor 100 Jahren kannten Millionen von Menschen diese Geschichte. Sie ist die Grundkonstellation eines der erfolgreichsten Science-Fiction-Romane des 19. Jahrhunderts: Looking Backward: 2000–1887 von Edward Bellamy. Durch die Augen seines männlichen Dornröschens Julian West ließ dieser seine faszinierten Leser auf die Wunder einer weit entfernten Zukunftswelt schauen.
    In Amerika wurde Looking Backward nach Onkel Toms Hütte und Ben Hur zum dritterfolgreichsten Buch seiner Zeit – und zum einzigen, das eine lebhafte politische, um die Verwirklichung von Bellamys Visionen bemühte Bewegung auslöste. In über 160 Bellamy-Debattierclubs wurden diese Ideen in den USA diskutiert, daneben auch in zahlreichen literarischen Werken und journalistischen Beiträgen. Seine Utopien sollten, obwohl in technologischer Hinsicht dann meist hinfällig, bis zur Zeit des Zweiten Weltkriegs nachwirken: Noch 1927 gründete sich in Holland die Nederlandse Bellamy-Partij , die sich zum Ziel gesetzt hatte, seine Sozialutopien umzusetzen.
    Bellamy selbst versuchte, mit einem weiteren Buch nachzulegen und seinen Standpunkt noch klarer zu machen. Equality (Gleichheit), so der Titel des 1897 veröffentlichten Anschluss-Romans, wurde wegen seines offensichtlich unsinnigen Themas jedoch zu einem veritablen Flopp: Selbst bei den liberalsten Freidenkern kam das Thema Frauen-Gleichberechtigung nicht wirklich gut an. Technologische Visionen mit einer Infragestellung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu verbinden war eine Sache, aber das Geschlechterverhältnis anzugreifen? Undenkbar!
    So blieb Bellamy ein One-Hit-Wonder. Immerhin: Auch in Deutschland, wo er einst studiert hatte, war das 1888 veröffentlichte Looking Backward ein Bestseller, der inzwischen in mindestens 14 Editionen und in einer ungeklärten Zahl von Auflagen erschienen ist – die letzte liegt erst wenige Jahre zurück.
    Julian West ist der Held dieser Geschichte, die eigentlich kaum eine ist: Bellamy lässt ihn nach 100 Jahren aus seinem durch Dr. Pillsbury so erfolgreich herbeimagnetisierten Tiefschlaf erwachen. Der Rest des Buches ist eine technologisch-soziopolitische Utopie. Aus dem Blickwinkel der Langzeit-Schlafmütze Julian West vergleichen wir die Entwicklung des späten 20. Jahrhunderts mit den Gegebenheiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
    Obwohl der Autor Edward Bellamy Sozialist war – wenn auch aus bestem, sprich: vermögendem Hause – und die sozialen Zustände seiner Zeit verabscheuungswürdig fand, blieb er ein Kind seiner Zeit. Was das technologische wie soziale Entwicklungspotenzial des Menschen angeht, war er wie die meisten seiner Zeitgenossen ein glühender Optimist.
    Denn obgleich die industrielle Revolution über lange Strecken mit einer deutlichen Verschlimmerung der Lebensumstände des Proletariats einherging,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher