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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Autoren: Frank Patalong
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fortgeführt wird. Man begrenzte das finanzielle Risiko, indem man die Telefon-Zeitung als eigenständige Firma aus dem Verlag auskoppelte. Manley M. Gillam aus dem Verlagsmanagement zeichnete verantwortlich für die mit einem für damalige Verhältnisse satten Stammkapital von 100.000 Dollar auf den Weg geschickte Neugründung. Und Gillam brauchte Geld, denn die Pläne hätten ambitionierter kaum sein können. Schon bis zum Folgejahr sollte der Telephone Herald nicht nur New York erobern, sondern gleich mehrere große Städte im ganzen Land.
    Vorerst wurde es Newark, New Jersey – versuchsweise. Wieder reagierte die Presse enthusiastisch, genauso wie die Kundschaft, die man mit zwei Attributen beschreiben kann: begeistert, aber klein.
    Gillam versuchte es trotzdem weiter. Noch 1911 begann der Aufbau weiterer Redaktionen und Dienste in anderen Städten, bis hinüber nach Kalifornien an der Westküste Amerikas. Sie alle hatten eines gemeinsam: Sie kamen über die Aufbauphase nicht hinaus. Im Herbst 1912 verhallten die ambitionierten Telefonservices der Herald-Gruppe irgendwo im analogen Telefon-Nirvana.
    Viel bescheidener und weniger beachtet, dafür aber zeitweise deutlich erfolgreicher hatte es ab 1909 in Wilmington, Delaware, der Unternehmer George E. Webb mit einer Low-Price-Variante der Bellamy-Vision vom Musikabruf on demand versucht. Sein Tel-Musici-Service glich einem Wunschkonzert gegen Zahlung: Der Kunde rief an und verlangte entweder nach einem bestimmten Programm (analog zu einem Radioprogramm) oder – gegen Aufpreis – sogar nach einem bestimmten Stück. Am anderen Ende warf daraufhin eine Servicemitarbeiterin die entsprechende Schallplatte – sofern vorhanden – auf ein Grammofon und verband den zahlenden Kunden mit dem Plattenspieler.
    Daneben bot Tel-Musici auch ein reguläres Programm, das mit Hilfe von Zeitungsanzeigen beworben wurde. Aus dem Jahr 1914 ist eine solche Anzeige erhalten, die für ein Wochenende ein eineinhalbstündiges Programm mit Tanzmusik ankündigt, für das man sich schon vorab einbuchen konnte – klar, die Zahl der parallel bespielbaren Slots war begrenzt. Ähnlich wie heute bei den Audioservices auf Urlaubsflügen wählte man sich ein – und verlangte dann beispielsweise »Kanal 4«.
    Webbs Tel-Musici blieb natürlich ein Unternehmen von überschaubarer Größe. Fotos aus dem »Music Room« zeigen aber, dass das Geschäft gut genug gelaufen sein muss, um rund zehn Damen emsig beschäftigt zu halten – als Telefonistinnen die einen, als Plattenauflegerinnen die anderen. Tel-Musici scheint über vier bis fünf solche DJ-Desks verfügt zu haben, um parallel mehrere Programme oder Wünsche bedienen zu können. Man muss sich wohl vorstellen, dass der Music Room kein sonderlich leiser Arbeitsplatz gewesen sein kann – vier bis fünf Grammophone, die zeitgleich unterschiedliche Musik in den Raum dudelten, dürften sich zu einer satten Kakophonie summiert haben.
    Für die Kunden war der Spaß vergleichsweise preiswert. Ein Musikstück kostete drei Cent Gebühr, eine ganze Oper sieben Cent. Eine Abo-Gebühr gab es nicht, doch verpflichtete sich der Kunde zu einem Mindestumsatz von 18 Dollar im Jahr. Alternativ bot Webb Business-Services an, die es Telefonnetzbetreibern möglich machten, den Musikdienst gegen Provision im eigenen Namen zu vermarkten.
    Im Vergleich zu den Preisen der großstädtischen Services war das beinahe Dumping – ein Geschäft nach dem Discounter-Modell. Über die ersten zwei Jahre, berichtete Ende 1909 die Fachzeitschrift Telephony , gewann Tel-Musici kontinuierlich Kunden (80 in einem Jahr!) und verlor dabei keinen einzigen. Trotz der niedrigen Gebühren blieben angeblich auch Gewinne hängen, die so groß aber nicht gewesen sein können: Nach 1911 verliert sich die Spur von Tel-Musici. Gründer Webb hatte zwischenzeitlich in einen vergleichbaren Service in New York investiert, der bis 1913 ebenfalls das Zeitliche segnete.
    Der »Music Room« in Wilmington: Fünf Kanäle parallel – und im Raum auch genau so lautstark zu hören
    Radio per Draht war kein gutes Geschäftsmodell in dem Land, in dem das Kabelfernsehen später erfolgreicher sein sollte als in jedem anderen Land der Erde. Euphorie ist eben eine Sache, Zahlungsbereitschaft eine andere.
    Die letzten Musikdienste für den Telefonhörer gab es in Deutschland in den 1980er Jahren. Damals bot die Post – aus der später Post und Telekom hervorgehen sollten – als Teil ihrer hochpreisigen
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