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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Patalong
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Bertha gehört zu den ersten X-Ray-Aufnahmen überhaupt
    Jetzt gab es kein Halten mehr: Eine ganze Gelehrtengeneration stürzte sich auf die Röntgenstrahlung. Rudolf Albert von Köllikers Reaktion auf das Röntgenbild seiner Hand brachte die Stimmung schon auf den Punkt. Zutiefst bewegt brachte der Vorsitzende des Würzburger Gelehrtenkreises hervor, dass er in den 48 Jahren seiner Aktivität in diesem Forscherkreis noch nicht erlebt habe, dass etwas derart Großes und Bedeutendes vorgetragen wurde. Es war Kölliker, der daraufhin öffentlich vorschlug, die X-Strahlung in Röntgenstrahlung umzubenennen – angenommen wurde das natürlich nur im deutschen Sprachraum.

Eine Erfindung erobert die Welt
    Was folgte, kann man nur als Röntgen-Boom beschreiben. Die frühen Experimentatoren muteten sich täglich Strahlendosen zu, die wir heute im Laufe eines ganzen Lebens nicht abbekommen. Und das galt nicht nur für die Forscher im Labor.
    Auch die Öffentlichkeit nahm direkt ungewöhnlich starken Anteil an der Entdeckung. Eine neue Art der Fotografie schien da zu locken – mit völlig neuen, verstörend intimen Einblicken!
    Innerhalb von Monaten nahmen Wissenschaftler, Tüftler, Schausteller und Scharlatane rund um den Globus das Experimentieren auf. Sie voneinander abzugrenzen fiel mitunter schwer, weil die Übergänge fließend waren. So mancher Forscher besserte sich seinen Etat durch öffentliche Shows auf, denn mangels Patentierung konnte jeder aus der Technik machen, was er wollte, ohne dafür Lizenzgebühren zahlen zu müssen.
    Röntgen selbst hatte all das ganz bewusst möglich gemacht, weil er auf eine Patentierung seines Verfahrens verzichtet hatte: Die Strahlen waren »Open Source«, wie man heute sagen würde, ein Geschenk an die Allgemeinheit sozusagen.

    Schnell wie nie zuvor verbreitete sich infolgedessen eine neue Technologie rund um die Erde. Der Effekt war ähnlich wie der, den rund 100 Jahre später Tim Berners-Lee mit der gemeinfreien Veröffentlichung des WWW-Protokolls erzielte: Quasi über Nacht beschäftigten sich die weltweit fähigsten, kreativsten Köpfe damit.
    In den ersten drei Jahren ging es dabei vor allem darum, Verfahren zu entwickeln, die möglichst scharfe Bilder produzierten. Offensichtlich gab es dafür zwei mögliche Ansätze: Zum einen musste man die zur Darstellung des Bildes eingesetzten Materialien verbessern; zum anderen die Qualität und Stärke der Röntgenapparate steigern.
    Das eine beeinflusste offensichtlich das andere. Um auf einem suboptimalen Darstellungsmedium ein gutes Bild zu erzeugen, benötigte man höhere Strahlungsintensitäten. Und über die machte man sich anfänglich kaum Sorgen.
    Im Jahr 2011 rekonstruierte der niederländische Radiologe Gerrit Kemerink von der Uniklinik Maastricht einen Röntgen-Aufbau aus dem Jahr 1896. Sein Team produzierte ein Röntgenbild von der Hand eines Verstorbenen und maß die dabei anfallende Strahlung. Sie war etwa 1.500 Mal höher als bei einer vergleichbaren Aufnahme mit heutigen Geräten. Bei Körperaufnahmen sollen Strahlenbelastungen angefallen sein, die die heutigen Belastungen um das Zehntausendfache überschreiten.
    Laut Kemerink hatten die frühen Gasentladungs-Röhren schon fast etwas Magisches: Ein Funkeninduktor schleuderte krachend Elektroblitze auf eine Metallplatte, die Kathodenröhre schien in einem fahlgrünlichen Licht auf, und die Luft begann, nach Ozon zu riechen. Schon bevor Röntgen entdeckte, dass diese Lampen eine bis dahin unbekannte Form der Strahlung erzeugten, waren sie allein wegen dieser Sound-und Lichteffekte populär und wurden auf Rummelplätzen als Lightshow eingesetzt. Von den umstehenden Schaulustigen hätte man Röntgenbilder machen können.
    Einmal mehr zeigte sich, dass wissenschaftlich-technologische Entdeckungen grundsätzlich eher mit Optimismus betrachtete wurden als mit skeptischer Vorsicht. Immer rasanter schien sich Ende des 19. Jahrhunderts die Welt zu verändern, und die meisten damals lebenden Menschen verfielen in einen regelrechten Hightech-Geschwindigkeitsrausch: Die Kraft des menschlichen Geistes war dabei, vor ihren Augen die Welt umzukrempeln!
    Unter dem Strich war das ausgehende 19. Jahrhundert eine Zeit des Staunens, das vor allem mit Ausstellungen zelebriert wurde: Technologiemessen und »Elektrizitäts-Ausstellungen«, Weltausstellungen bis hin zu kleinen Schauveranstaltungen brachten der Öffentlichkeit das Staunen bei. Bereits ein Jahr nach Röntgens Entdeckung

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