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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Patalong
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gehörten zum Stab von Edisons Assistenten. Ihre ganze Familie arbeitete im Forscherpool der Edisons, hatte sich vor allem bei der Entwicklung und Verbesserung der Glühbirnen-Produktion hervorgetan. Clarence Dally galt unter anderem als begnadeter Glasbläser. Von 1896 an arbeitete er in der kurzfristig geschaffenen Forschungsabteilung zur Verbesserung der Erzeugung von Röntgenröhren und Fluoroskopen. Dally war die fleißige Arbeitsbiene, die es Edison innerhalb weniger Monate erlaubte, eine gegenüber Röntgens Geräten erheblich verbesserte Technik vorzustellen. Bereits im Mai 1896 führten Dally und Edison ihre Röntgentechnik als öffentliches Spektakel in New York vor.
    Schon zu diesem Zeitpunkt muss Dally hochgradig verstrahlt gewesen sein. Jegliche Forschung an den neuen Strahlen geschah durch Versuch und Irrtum: Niemand weiß, wie viele Kombinationen von Beschichtungen und Röhren Dally ausprobierte – immer wieder aufs Neue setzte er sich vor eine Röhre, hielt seine Hand davor und betrachtete das Ergebnis durch ein Fluoroskop. Wie ein Besessener soll er gearbeitet haben, Tag für Tag, bis spät in die Nacht.
    Als Erstes verlor er seine Haare, seine Hände zeigten Verbrennungen, seine Haut Veränderungen. Edison war irritiert, bald alarmiert. Bis 1900 zeigten sich außerdem Geschwüre in Dallys Gesicht. Gerade 35 Jahre jung war er und kaum mehr in der Lage, zu arbeiten. Immer wieder schwoll seine linke Hand rot und äußerst schmerzhaft an – wie bei allen rechtshändigen Röntgen-Pionieren war das die Testhand.
    Dally, wie verhext von seiner Arbeit, ließ sie abschwellen und machte weiter. Als der Schmerz bis 1902 chronisch und unerträglich wurde, ging er dazu über, seine rechte Hand als Testhand zu benutzen. Was die Medizin zu diesem Zeitpunkt in ihrem Repertoire hatte, war längst ausgeschöpft – bis hin zu dem Versuch, Haut vom Oberschenkel auf den so schlimm betroffenen Unterarm zu übertragen. Im Juni 1902 wurde klar, dass einige seiner zahlreichen Geschwüre Karzinome waren: Dallys linke Hand wurde bis über das Gelenk amputiert.
    Der als knallharter Geschäftsmann berüchtigte Edison war erschüttert. Dallys Leiden aber hatten gerade erst begonnen. Kurz nach der Amputation der linken Hand traten erste Karzinome in der rechten auf: Dally verlor vier Finger. Im Laufe des folgenden Jahres wurde ein Arm bis zur Schulter, der andere bis zum Ellbogen amputiert. Edison stellte jeden Verkauf seiner für die Öffentlichkeit gedachten Fluoroskope ein, zog sich zudem offiziell aus jeder weiteren Forschung über Röntgenstrahlung zurück. Ein beispielloses Vorgehen bei einem Mann, der über Jahrzehnte versucht hatte, jeden aufkommenden Hightech-Markt zu dominieren. »Sprechen Sie mich nicht auf X-Strahlen an«, zitierte ihn am 3. August 1903 die Zeitung New York World , »ich habe Angst davor.«
    Bereits Ende 1901 habe er alle Forschungen einstellen lassen, sagte Edison, nachdem Dally seine Arme kaum noch gebrauchen konnte und er selbst beinahe sein Augenlicht verloren hatte. Für ihn sei das Thema Strahlen nun gegessen: »Ich fürchte mich auch vor Radium und Polonium, und ich will damit nicht herumpfuschen.«
    Edisons Assistent Clarence Dally war da längst verloren und lebte in permanenter Agonie. Sein Arbeitgeber gab sich selbst die Schuld dafür, bezahlte ihn – durchaus im Bruch mit damaligen Gepflogenheiten – bis zum Ende weiter und kam auch für die Kosten seiner Pflege auf. Dally starb im Oktober 1904 im Alter von 39 Jahren. Er war das erste dokumentierte Strahlenopfer.
    Edison gehörte zu den Wenigen, die aus dieser menschlichen Tragödie lernten. Noch immer glaubten die meisten, dass die mysteriösen Kräfte des Universums, Magnetismus, Elektrizität, die Hertzsche Strahlung, Röntgenstrahlung und nun auch Radioaktivität mit der geheimnisvollen Lebenskraft zusammenhingen. Ein Kurzschluss, der mit entsprechend fahrlässigem Umgang mit den Neuentdeckungen einherging. Röntgen und X-Strahlen wurden zur Popkultur und sogar zum beliebten Bestandteil zahlreicher Markennamen und Produktbezeichnungen. Wo so etwas draufstand, musste ja wohl Kraft drin sein!
    Zum Glück war zumindest das natürlich völliger Blödsinn, Röntgenstrahlung lässt sich nicht verpacken. Doch leider kann man das von Radioaktivität nicht behaupten.
    1896 untersuchte Marie Curie die von Henri Becquerel Ende 1895 entdeckte Strahlung von Uranverbindungen und prägte dafür die Bezeichnung »radioaktiv« – das heißt:

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