Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
»aktiv Strahlen aussendend«. Zwei Jahre später entdeckte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre die neuen Elemente Polonium und Radium. Hier hatte man nun eine ganze Gruppe von natürlich vorkommenden Elementen, die von sich aus strahlten, und also eine geheimnisvolle Kraft enthielten, von der man schnell begriff, wie gewaltig sie sein könnte. Radioaktivität schien die Urkraft des Universums selbst zu sein.
Man begegnete ihr mit derselben naiven Zuversicht, mit der man die »X-Rays« begrüßt hatte. Auch die Curies ahnten zunächst nicht, wie gefährlich die Materialien waren, mit denen sie hantierten. Bereits 1898 traten bei Marie Curie die ersten Symptome für eine Strahlenkrankheit auf – es gibt kaum Pioniere der Strahlenforschung, die ihre Arbeit schadlos überlebt haben. Bis 1903 erlitten die Eheleute mehrere radioaktive Verbrennungen und begannen, Symptome von Strahlenkrankheit zu zeigen. Sie verhinderten unter anderem, dass Marie Curie den ersten der zwei ihr verliehenen Nobelpreise entgegennehmen konnte.
Die Gesundheitsrisiken im Umgang mit den radioaktiven Materialien wurden den beiden spätestens dann klar, als Pierre sich im Selbstversuch mit Radium verbrannte und sich dadurch eine vernarbende Wunde zufügte, die über zwei Monate brauchte, um zu verheilen.
Pierre Curie starb 1906 bei einem Verkehrsunfall. Ob Marie Curie zu den Strahlenopfern zu zählen ist, ist umstritten: Frei von Beschwerden war sie nach 1898 nicht mehr und starb 1934 im Alter von 67 Jahren an einer Aplastischen Anämie. Es gilt als wahrscheinlich, dass diese durch ihre jahrzehntelange Strahlenbelastung als Forscherin und Radiologin verursacht worden war.
Die Tatsache, dass Schädigungen selbst bei Menschen, die täglich mit den neuen Strahlen umgingen, oft mit langer Verzögerung auftraten, verbarg deren Gefährlichkeit in gewissem Maße. Dazu kam, wie unfassbar selten die strahlenden Materialien waren: Man brauchte rund 3000 Tonnen Pechblende, um ein Zehntel Milligramm Polonium zu gewinnen. Doch es war Radium, das über Jahrzehnte das kostbarste, teuerste Material der Welt wurde. Auch das wertete die Strahlenträger in den Augen der staunenden Öffentlichkeit auf.
Einige Gegenden in den USA erlebten einen regelrechten Radium-Rush, als Glücksritter in Massen nach einem Material zu buddeln begannen, das man im Jahr 1920 für unglaubliche 100.000 Dollar pro Gramm verkaufen konnte. Das beflügelte die Phantasien.
Zwischen 1909 und 1910 gelang es dem deutschen Journalisten Arthur Brehmer, 22 prominente Wissenschaftler, Intellektuelle und Publizisten dazu zu bewegen, ihre persönlichen Visionen für die Welt in 100 Jahren zu entwerfen – für das Jahr 2010 also. Das daraus entstandene Buch Die Welt in 100 Jahren war ein Achtungserfolg und wurde in der Neuauflage 2010 zu einem echten Bestseller und zum Wissenschaftsbuch des Jahres.
Kein Wunder: Es finden sich darin von Technikeuphorie befeuerte Utopien, idealistische Träume von sozialem und kulturellem Fortschritt, heute aberwitzig zynisch anmutende Halluzinationen vom perfekten Krieg, aber eben auch verblüffend treffsichere Prognosen wie Robert Sloss’ Vision vom »drahtlosen Jahrhundert«. Sloss antizipierte darin nicht nur das Radio, sondern gleich auch noch das Handy, und das in einer cleveren Mehrfunktions-Variante.
Als durchwachsen hellsichtig erwies sich dagegen der Beitrag Das Jahrhundert des Radiums von Everard Hustler. Er sah darin durchaus die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Atomkraft voraus – von der Energiegewinnung bis zum potentiellen Völkermord. Gerade deshalb, so Hustler, werde es auch keine Kriege mehr geben, denn Krieg sei nur so lange möglich, »solange uns keine Waffe zu Gebote steht, gegen die es keine Gegenwehr gibt«. Das Radium gehe einher mit einer »Unmöglichkeit der Verteidigung« – die gleiche Logik lag 40 Jahre später dem Abschreckungs-Irrsinn des Kalten Kriegs zugrunde, von dessen Aufrüstungswahn sich die Welt noch immer nicht erholt hat.
Für Hustler also war das die Garantie ewigen Friedens. Sein Beitrag ist von einer totalen Zuversicht in die absolute Beherrschbarkeit der Atomkraft gezeichnet, die uns heute schaudern lässt. »Beispielsweise«, schrieb er da, »wird es in hundert Jahren gewiss in keiner Stadt mehr elektrische, geschweige denn eine Gasbeleuchtung mehr geben. Es wird das Radium das Licht der Welt geworden sein.«
Glühbirne ade: Was man in Zukunft brauchen werde, sei allein ein satter Anstrich der
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