Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Gebäude mit Pechblende, beschichtet mit einem luminiszierenden Material wie im Fluoroskop, dann werde alles quasi von innen heraus leuchten – Glühwürmchen aller Länder, vereinigt Euch!
Hustler:
Jede weitere Straßenbeleuchtung wird dadurch unnötig werden, denn das Bombardement der Atome ist ein unaufhörliches und der Energieverlust ein so geringer, dass man ihn erst nach Jahrhunderten gewahr werden würde. Radium ist nämlich die einzige bisher bekannte Substanz, deren Energie eine immerwährende, ewige ist, und die trotz einer Aktivität, die auf der Welt ihresgleichen nicht hat, nie oder, wie gesagt, für uns ganz unmessbar abzunehmen scheint. Die Singer-Buildings in Newyork, der Stefansturm in Wien, der Rathausturm in Berlin würden mit diesem Anstrich, sobald das Dämmerlicht eintritt, ganz leicht zu leuchten beginnen, und mit zunehmender Dunkelheit würden sie in immer hellerem Lichte erstrahlen, das endlich so intensiv werden würde, dass es weithin alles mit seinem milden Glanz übergießen müßte.
Und was ist mit den Gefahren dieser »zerstörendsten Kraft ( …), die jemals in eines Menschen Hände gelegt worden war«? Der geringe Radiumanteil in den Wandfarben garantiere, so Hustler, dass niemand geschädigt werde, sondern ganz im Gegenteil der Gesundheit höchst förderliche Effekte erfahre – genau wie in den radioaktiven Heilbädern, die inzwischen so populär geworden waren.
Hustler:
Es besteht aber kein Zweifel darüber, daß wir zu der Annahme berechtigt sind, die Zukunft werde dem Radium ein Zeitalter völliger Krankheitslosigkeit danken. Noch seltsamer als alle diese Wunderkuren muss uns die sichere Aussicht erscheinen, daß auch das Alter künftighin seinen Einfluß auf unseren Organismus verlieren, und daß es kein Altern mehr geben wird. Die kommenden Geschlechter werden ewig junge Menschen hervorbringen, Menschen voll physischer Kraft und voll Schönheit, Menschen die vom Kranksein nichts wissen und alle Berichte über Krankheiten und Seuchen als seltsame Märchen aus einer fernen, vergessenen Welt betrachten werden.
Heute würde man sagen: »Was auch immer der getrunken hat, da hätte ich auch gern einen von!« Aber Hustler war kein Spinner, sondern ein bestens informierter Intellektueller. Seine radioaktiven Visionen spiegeln den Zeitgeist.
Radioaktive Heilwässer pries man tatsächlich als wahre Wundermedizin. Etliche Heilbäder hatten sich als sanft strahlend erwiesen, diese bis heute angewandten und bis heute nicht unumstrittene Radontherapie nahm vor allem in Deutschland und England ihren Anfang. Und die heilsamen Strahlen des Radon konnte man sich nicht nur äußerlich verabreichen: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts machten sich Wasseraufbereiter im privaten Haushalt breit, mit denen eine Art perlendes Mineralwasser produziert wurde. Sie bestanden aus Gläsern, häufiger aber aus Steingut-Behältern, die man mit Wasser füllte und sodann ein radioaktiv strahlendes Mineral in sie hinabsenkte. »Vitalisiert« nannte man solche mit radioaktiven Isotopen versetzte Wässerchen.
Radium-Tinktur: Teure »Medizin«, die mitunter sogar das Leben kostete
Die dabei entstehende Strahlenbelastung ist relativ hoch, aber kurzlebig: Solange man nur die Radongase mit ihrer sehr kurzen Halbwertszeit zu sich nimmt, kommt es zu keiner andauernden Belastung. Anders sieht das aus, wenn man die radioaktiven Materialien selbst aufnimmt – also isst.
Bis 1950 wurde aus Deutschland die besonders wertvolle, mit Radium versetzte Schokolade in die ganze Welt exportiert.
Aus heutiger Perspektive klingt das unfassbar, aber bis circa 1950 war das durchaus gängig: Aus Deutschland wurde besonders wertvolle, mit Radium versetzte Schokolade in alle Welt exportiert. Gesundheitsbewusste Menschen warfen präventiv strahlende Pillen ein. Für radioaktiv verstrahlte Lebensmittel zahlte man gern einen Aufpreis. Und die lumineszierenden Effekte radioaktiver Kosmetika, wie etwa die vielfältigen Produkte der französischen, aber weltweit erhältlichen Marke Tho-Radia schienen einen ganz besonderen Sex-Appeal zu bringen.
Als sich abzeichnete, dass der Zweite Weltkrieg verlorengehen würde, versuchten deutsche Magnaten, die ursprünglich zur Waffenherstellung produzierten oder in Frankreich konfiszierten radioaktiven Materialien umzuwidmen und zu einem profitablen Geschäft zu machen. Doramad, die seit etwa 1935 hergestellte deutsche radioaktive Zahnpasta, erlebte zwar nur eine kurze Karriere – doch immerhin
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