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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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zerschnitten ist, kann ich das nicht beurteilen.“
    „Aber welches Bild von Matisse ist es?“
    „Ich weiß es nicht. Matisse hat Hunderte solcher Seelandschaften gemalt, Marie.“ Weil konnte ihre herablassende Fragerei nicht ausstehen.
    Wie eine Lehrerin schüttelte sie dann auch den Kopf undwarf ihm einen mahnenden Blick zu. Wahrscheinlich erfüllte es sie mit Genugtuung, dass sie mehr wusste als er. Wie viele von der alten Riege des Metropolitan Museums of Art war auch Marie Grimshaw nicht gerade glücklich über seine Berufung. Sie hatte nicht mit ihrer Meinung hinterm Berg gehalten. Weil wusste, dass Marie Grimshaw es lieber gesehen hätte, wenn die Leitung des Museums an jemanden mit einem wissenschaftlichen Hintergrund gegangen wäre.
    „Es ist Matisse’ Blick auf St. Tropez .“
    Sie beobachtete ihn aus ihren undurchschaubaren hell-blauen Augen und schien auf eine Reaktion zu warten. Anscheinend dachte sie, dass er nun wüsste, um welches Bild es sich handelte. Doch der Titel des Gemäldes sagte ihm nichts.
    „Ich möchte gerne wissen, womit wir es hier zu tun haben, bevor das FBI auftaucht. Deshalb habe ich Sie heruntergebeten. Würden Sie mir verraten, was Sie über den Hintergrund des Bildes wissen? Gibt es eine Verbindung zu uns?“
    „Der Matisse wurde uns Ende der Sechzigerjahre vermacht. Aber das Bild ist nie bei uns angekommen; es wurde noch vor dem Tod des Eigentümers im Jahr 2003 gestohlen. Die Medien auf der ganzen Welt haben damals wochenlang über den Kunstraub berichtet, Tyler.“
    „Danke, Marie.“ Auf ihren finalen Seitenhieb reagierte er erst gar nicht. Diese Blöße würde er sich nicht geben.
    „Wie ist es hierhergekommen?“, fragte Grimshaw.
    „Das habe ich noch nicht in Erfahrung bringen können.“ Weil drehte sich zu Olshling um. „Wer hat die Kiste geöffnet?“ Sein Ton war bestimmt, aber nicht anklagend. „Wissen wir, wer der Absender ist?“
    „Geöffnet hat die Kiste Joe McBurney hier.“ Olshling deutete auf einen jungen Mann in einem weißen Kittel. Unter dem prüfenden Blick des Museumsdirektors bewegte er sich nervös von einem Fuß auf den anderen. „Und“, fuhr Olshling fort und zeigte dabei auf einen gewöhnlichen weißen Umschlag,der an der Innenwand der Kiste klebte, „da ist ein Brief. Er ist an Sie adressiert, Mr Weil.“
    Weil beugte sich hinunter und schaute sich den Umschlag an. Sein Name war getippt, sonst gab es nichts Auffälliges zu entdecken. Er streckte die Hand aus.
    „Mr Weil, warten Sie einen Moment!“ Olshling griff hinter sich und zog ein Paar Latexhandschuhe aus einem Spender.
    Wie die meisten Menschen, die professionell mit Kunst zu tun hatten, wusste Weil, dass man Kunstwerke nie anfassen darf, ohne vorher Handschuhe überzustreifen. Dadurch waren die kostbaren Objekte vor Hautfett und Schmutz geschützt. In einer Situation wie der jetzigen schützten Handschuhe ihn selbst vor gefährlichen Stoffen, die sich vielleicht an oder in dem Umschlag befanden, doch Tyler Weil hatte die Schutzmaßnahme schlicht vergessen. Der Blick des Sicherheitschefs, als er dem Direktor die Handschuhe reichte, sprach Bände. Niemand hätte Philippe de Montebello daran erinnern müssen, dass man Beweismaterial nicht kontaminierte.
    Weil streifte die Latexhandschuhe über und riss den Umschlag vorsichtig auf. Er entnahm ihm ein Blatt Papier, das um vier Fotos gefaltet war. Jedes Einzelne schaute er sich lange und genau ab, bevor er den Stapel an Marie Grimshaw weiterreichte. „Ich nehme an, dass diese Gemälde und der Matisse etwas gemeinsam haben.“
    Grimshaw hatte ebenfalls Handschuhe übergezogen und blätterte die Fotos durch. „Sie haben recht“, sagte sie leise. „Diese Bilder gehören dem Museum. Sie sind uns von verschiedenen Spendern vermacht worden, und alle wurden gestohlen, bevor wir sie in Besitz nehmen konnten.“ Sie gab ihm den Stapel zurück, ihre Stimme zitterte. „Was hat es nur mit diesen Fotos auf sich?“

12. KAPITEL
    Lucian fuhr mit seinem 1988er Mustang auf einen Parkplatz an der East 79. Straße und ignorierte die Parkuhr, weil er ein Nummerschild der Regierung am Wagen hatte. Er hatte den Mustang bei einer Polizeiauktion erstanden und ihn wieder komplett hergerichtet. Es nieselte, doch er verzichtete auf einen Schirm und schritt eilig Richtung Westen. Der starke Wind riss junge Blätter von den Bäumen, und eine Seite aus den Daily News wickelte sich um Lucians Bein. Als er sich davon befreite, sprang ihm die Schlagzeile ins

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