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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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gebaut. Samimi überlegte, wie hoch es wohl war. Redeten sie wirklich vom Museum? Was hatten sie vor? Er kippte den zweiten Scotch in einem Zug hinunter.

18. KAPITEL
    „Ich möchte gerne mit Andre Jacobs sprechen“, sagte Lucian und zeigte dem uniformierten Wachmann seinen Ausweis. Während der Mann den FBI-Ausweis überprüfte, schaute sich Lucian in der Lobby um. Es sah immer noch genauso aus wie vor zwanzig Jahren, als Solanges Eltern verreist waren und er oben in der Wohnung an der Fifth Avenue bei ihr übernachtet hat te.
    Noch Jahre nach dem Mord hatte er diesen Block gemieden. Einmal hatte er in einem Taxi gesessen, das an der Ampel an der Ecke anhalten musste. Instinktiv hatte er zu dem Gebäude geschaut, die zehn Stockwerke nach oben gezählt und das dunkle Rechteck angestarrt, das einmal das Fenster ihres Zimmers gewesen war. Und mit einem Mal hatte Lucian den Duft ihres Maiglöckchenparfüms in der Nase gehabt, hatte gespürt, wie sich ihr Körper hier im Taxi an ihn schmiegte. Er hatte die Erinnerungen weggeschoben. Auf der Rückbank eines lausigen Taxis hatte er sich nicht dem quälenden Gefühl hingeben wollen, wie sehr er sie vermisste.
    Wenn er danach zu Fuß oder mit dem Auto auf der Fifth Avenue unterwegs war, hatte er nie mehr nach links zu dem Gebäude geblickt. Er hatte einfach, den Blick geradeaus gerichtet, seinen Weg fortgesetzt.
    Der Wachmann legte den Telefonhörer aus der Hand. „Sie können hoch, Agent Glass. Die Haushälterin von Mr Jacobs erwartet Sie. Wenn Sie aus dem Aufzug treten, liegt die Wohnung rechts, Nummer …“
    „… 10 B“, sagte Lucian und ging zum Aufzug.
    Oben stand er vor der vertrauten dunkelgrünen Tür, klingelte und wartete. Der Korridor war schmal – es waren nur zwei Wohnungen auf jeder Etage – und absolut still. Nur das Surren des Aufzugs war zu hören, der sich langsam nach unten entfernte. Lucian starrte auf die braunen Marmorfliesenmit den goldenen Adern, auf die Tapete mit dem orientalisch angehauchten Muster in Beige, Gold und Weiß. Ein goldgerahmter Spiegel hing über dem schmalen Tischchen zwischen den beiden Eingangstüren. Eine Kristallvase stand darauf mit einem Arrangement aus Trockenblumen. Sie sahen aus, als hätte sie vor Jahren jemand frisch in die Vase gestellt und dann vergessen.
    Schließlich hörte Lucian Schritte. Allerdings öffnete ihm nicht die Haushälterin die Tür. Der verlebte, ausgemergelte Mann war nur noch ein Schatten seiner selbst; er hatte nichts mit der Persönlichkeit zu tun, die er einmal gewesen war. Zwei Jahrzehnte von Trauer hatten deutliche Spuren in Andre Jacobs wässrigen Augen und seinem zerfurchten Gesicht hinterlassen.
    Lucian wollte sich vorstellen, doch Jacobs schnitt ihm sofort das Wort ab.
    „Ich habe die Polizei nicht gerufen“, knurrte er. Es klang, als glaube er schon lange nicht mehr, dass die Polizei ihm irgendwie nützlich sein könnte.
    Jacobs erkannte ihn nicht, was Lucian aber auch nicht verwunderte. Sie waren sich nur wenige Male begegnet, und das vor zwanzig Jahren, als er gerade mal neunzehn gewesen war. Lucian sah heute anders aus, reifer, erwachsener. Für ihren Vater war er damals nur einer von Solanges Freunden gewesen. Nein, Jacobs konnte ihn nicht wiedererkennen, aber bestimmt erinnerte er sich an seinen Namen. Monatelang hatte er neben dem seiner Tochter gestanden in den Artikeln über den Raubmord, den die Presse als „den Kunstraub des Jahrhunderts“ bezeichnet hatte.
    „Ich bin vom FBI, Agent Luc…“
    „Vom FBI? Also, das FBI habe ich ganz bestimmt nicht gerufen.“
    Lucian zwang sich, nicht vor der Ginwolke zurückzuweichen, die ihm mit den Worten entgegenschwappte. Es war gerademal drei Uhr nachmittags.
    „Ich bin hier, weil wir Ihre Hilfe brauchen. Könnte ich bitte hereinkommen, Mr Jacobs?“ Er musste dem Mann begreiflich machen, wen er vor sich hatte, aber in seinem Zustand war es vielleicht besser, wenn Jacobs saß, bevor Lucian ihm seinen Namen nannte.
    „Geht es um Kunst? Ich bin nämlich nicht mehr im Kunstgeschäft tätig. Von mir bekommen Sie keine Informationen mehr über gestohlene Kunstwerke.“ Jacobs spie die Worte förmlich aus.
    „In diesem Fall geht es um ein Bild, das gefunden wurde.“ Lucian trat einen Schritt vor. Wenn er den Mann bedrängte, wich der vielleicht zwangsweise zurück und ließ ihn in die Wohnung.
    „Das gefunden wurde?“ Kurz blitzte in den Augen des alten Mannes Interesse auf, aber es verlosch sofort wieder. „Nein, ich bin nicht

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