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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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unbedingt nötig war. Er brüstete sich geradezu damit, dass er noch nie im Central Park gewesen war und weder den nächtlichen Broadway noch die Upper East Side gesehen hatte. Von all den New Yorker Restaurants kannte er nur das persische Lokal zehn Blocks die Third Avenue hinauf, in dem er manchmal aß. Taghinia betonte oft, wie gerne er für sein Land sterben würde, und dass er hier in New York schon mit einem Fuß im Grab stand. Er hasste die Stadt für ihre Auswüchse und konzentrierte sich auf den Tag, wenn sein Heimatland wieder als eine führende Supermacht anerkannt war. Ruhen würde er erst, wenn der Islam wieder die Weltherrschaft innehatte, keinen Tag früher. Diesen letzten Spruch bekam Samimi fast täglich zu hören.
    Ich nicht , dachte Samimi, als er den Konferenzraum wieder betrat. Ich nicht. Für seine Überzeugung zu sterben war gewiss ein hehres Ideal, aber für ihn kam es nicht infrage. Nicht, wenn es hier so viel gab, für das es sich zu leben lohnte. Laurie Yardley zum Beispiel. Sie hatte nackt im Bett gelegen, als er am Morgen ihr Apartment verließ. Mit einem unvergleichlich lasziven Gesichtsausdruck hatte sie all die schamlosen Dinge aufgelistet, die ihn am Abend erwarteten. Er setzte sich rasch, damit niemand mitbekam, was sich in seinem Schritt abzeichnete.
    „Wenn wir es so laufen lassen wie bisher, kann der Schaden am Ende nur umso größer sein. Diese antiken Teppiche müssen ausgebessert werden, sobald sich die ersten Fäden lösen“, dröhnte Nassirs Stimme aus dem Lautsprecher. „Habe ich mich klar ausgedrückt? Die Sache muss jetzt erledigt werden!“Samimi blickte hinunter auf seine polierten Schuhe auf dem prächtigen, in Saphirblau und Rubinrot gewobenen Teppich. Der Raum war mit noch fünf weiteren Perserteppichen von ähnlich hoher Qualität ausgestattet. Jeder war mehr wert als die meisten Menschen sogar hier in den USA in einem Jahr verdienten. Es war wirklich der reinste Hohn. Diese kostbaren Teppiche gehörten ins Museum, zumindest sollten sie an den Wänden hängen. Die Teppiche waren nicht reparaturbedürftig, auch wenn täglich etliche Gäste auf ihnen herumtrampelten und Taghinia ständig Zigarrenasche auf die dreihundert Jahre alten Meisterwerke fallen ließ. Sein Boss und der Minister sprachen in einem Code, in den Samimi zwar offiziell nicht eingeweiht war, den er aber schon vor Monaten geknackt hatte.
    „Wir behalten die Sache im Auge“, nickte Taghinia.
    „Es ist an der Zeit, dass Samimi die Verantwortung für die Teppiche übernimmt“, entschied der Minister.
    Taghinia schaute zu Samimi hinüber, wobei er die dicken Augenbrauen hob, als sei er beeindruckt. „Wird gemacht, Minister.“
    Samimi lief es kalt den Rücken hinunter.
    „Samimi, sind Sie da?“
    „Ja, Minister.“
    „Ich zähle auf Sie.“
    „Ja, Minister.“
    „Taghinia wird Ihnen alles erklären.“
    Panik stieg in Samimi hoch, und er riss sich zusammen. „Ja, Minister.“ Hoffentlich konnte Nassir nicht hören, wie trocken sein Mund geworden war.
    Doch der Minister sagte nur „Ausgezeichnet“ und legte auf.
    „Wenn sich die ersten Fäden lösen? Was meint er damit?“, fragte Samimi.
    Taghinia wischte die Frage mit einer Handbewegung weg. „Hier geht’s nicht um Teppiche, du Idiot.“
    „Das war ein Code?“ Samimi konnte nur hoffen, dass seine Schauspielerei überzeugend wirkte.
    „Natürlich war das ein Code. Der Minister will, dass wir Hypnos nach Hause bringen.“
    „Dafür haben wir Reza. Er arbeitet daran.“
    „In diesem Land gibt es zu viel Bürokratie. Zu viele Regulierungskommissionen. Zu viele Ebenen, die mit einbezogen werden müssen. Wir können die Sache viel schneller erledigen, wenn wir diese Formalitäten umgehen. Also bringen wir die Statue selbst zurück in den Iran.“
    „Wir können den Hypnos nicht illegal aus dem Met schaffen.“
    „Ein paar unserer Männer arbeiten doch im Museum, oder nicht?“
    „Nur zwei.“
    „Was hindert uns daran, noch mehr Leute einzuschleusen? Bring noch fünf oder sechs im Museum unter!“
    „Die beiden Männer waren für die Bewachung der Statue abkommandiert.“
    Taghinia erwiderte nichts.
    „Als zusätzliches Sicherheitspersonal, hast du gesagt“, drängte Samimi.
    „Das sind sie auch. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht auch für andere Zwecke eingesetzt werden können.“
    Darüber hatte Samimi nie auch nur ein Wort in den heimlichen Aufnahmen gehört. Was hatte er da nicht mitbekommen? Er kam sich dumm vor. Dann

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