Der Vogelmann
Jack, mach das nicht.
Fast hätte er gelacht. Einen Augenblick lang stellte er sich vor, sie sei tot. Aber ihr zarter Brustkorb hob und senkte sich, und als er das Gesicht ganz nahe an ihre Brust beugte, konnte er das beruhigende, fast lautlose Pfeifen der Luft in ihren Lungen, das vogelhafte Flattern ihres Herzens hören.
Ein sterbender Vogel.
Er setzte sich abrupt auf, stieg aus dem Bett und ging in die Küche, um das Gesicht unter den Wasserhahn zu halten. Er wollte nicht über den Vogelmann nachdenken, darüber, was er getan hatte. Nicht, wenn Rebecca neben ihm schlief.
Er richtete sich tropfend auf, und die Vorstellung verblaßte.
Joni war nicht zurückgekommen. Letzte Nacht, bevor er Rebecca ins Bett gebracht hatte, hatte er die Kette an der Tür vorgelegt, Joni hätte ihn also aufwecken müssen, um in die Wohnung zu gelangen. Jetzt stellte er den Kessel auf, trank schnell ein Glas Wasser und sah auf die Fotos auf dem Kaminsims über der Tiefkühltruhe.
Einige der Bilder zeigten Rebecca in farbbespritzten Arbeitshosen mit einem Pinsel in der Hand; oder mit verschlafenen Augen, eine Hand protestierend gegen die Kamera gestreckt; ein anderes war an einem Kiesstrand aufgenommen, Rebecca in Shorts, mit herausgestreckter Zunge, unter einem riesigen Schlapphut hervorschielend.
Er stellte das Glas auf den Sims und nahm ein Foto von Joni in die Hand. Sie war hübscher, als er sie in Erinnerung hatte, wahrscheinlich weil sie nicht bekifft wirkte. Mit klaren Augen sah sie in die Kamera, sie hielt eine Zigarette in der Hand, ihr Mund stand offen, und ein Finger war auf die Person mit der Kamera gerichtet, als versuchte sie etwas Wichtiges zu erklären, ihre Meinung zu erläutern. Ihr Haar war stumpf geschnitten und fiel auf die Schultern, ihr langer Pony reichte bis zu den Augenbrauen.
Caffery nahm das Foto mit zum Tisch, setzte sich und stützte die Ellbogen auf. Joni starrte ihn an und versuchte, ihre Meinung zu erläutern. Er strich mit dem Finger über den Pony.
Die Narben an den Köpfen der Opfer bildeten einen perfekten Kreis; Kayleigh Hatchs und Susan Listers weißblondes Haar war zu einer Ponyfrisur geschnitten worden. Caffery strich mit der Hand über die eigene Stirn. Bei den Opfern befanden sich die Male an der Stirn, unterhalb des Haaransatzes. Eine Perücke würde normalerweise nicht an dieser Stelle sitzen. Das war zu tief.
Außer …
Außer sie hatte einen Pony. Wie Joni.
Er sprang auf, sein Herz hämmerte.
Nicht wie Joni jetzt, aber wie Joni damals, bevor sie sich das
Haar schneiden ließ. Bevor, mein Gott, natürlich, bevor sie die Implantate hatte. Es ist die frühere Joni, die er will.
»Becky?« Er küßte ihren Hals. »Becky. Wach auf.«
Rebecca bewegte sich und wachte auf.
Jack, die letzte Nacht mit ihm fiel ihr wieder ein: im Flur, im Bett, als er richtig in Schwung gekommen war, was er mit ihr gemacht hatte. Schläfrig streckte sie die Hand unter dem Laken hervor und suchte nach seiner Erektion. Als sie feststellte, daß er Hosen anhatte und sein Hemd zuknöpfte, öffnete sie die Augen. »Gehst du schon?«
»Ich muß gehen.«
»Was ist los?«
»Joni ist nicht heimgekommen. Weißt du, wo sie abgeblieben ist?«
»Sie ist nicht zu Hause?« Sie rollte auf die Seite und rieb sich die Augen. »Keine Sorge, das macht sie manchmal.«
Er strich ihr den Pony aus der Stirn und küßte ihre Wange. Ihr Haar roch nach Babyshampoo. »Rebecca, ich möchte dich etwas fragen, es ist wichtig.«
»Hm?«
»Stimmt es, daß Joni Implantate hat?«
Sein Tonfall ließ sie aufsehen. »Ja. Und?«
»Das hier.« Er hielt das Foto hoch. »Wann wurde das aufgenommen?«
»Das ist, ich weiß nicht, drei Jahre alt, warum?«
»Und die Implantate?«
»Gott.« Rebecca sah blinzelnd das Foto an. »Ich bin mir nicht sicher, kurz nachdem ich sie kennengelernt habe, vielleicht vor sechs Jahren.«
»O. K., hör zu!« Er stand auf und strich mit der Hand über sein Hemd, versuchte, die Falten vom gestrigen Tag zu glätten. »Ich brauche das Gemälde. Das auf der Staffelei.«
»Warum?«
»Ich bring’s zurück.«
»Nimm es. Ich kann es sowieso nicht mehr sehen.« Sie rollte sich auf die andere Seite, stützte sich auf die Ellbogen und sah ihn mit ernstem Blick an. »Jack, du glaubst doch nicht…?«
»Nein, ich…« Er schwieg einen Moment. »Rebecca, sieh mich nicht so an.« Er zog an seiner Krawatte und strich sie mit den Fingern über der Brust glatt. »Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.« Er
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