Der Vogelmann
Bettdecke verstreut lagen, das schwarz-silberne Kookai-Adreßbuch, dessen zerknitterte Seiten mit bunten Herzchen und lächelnden Gesichtern vollgemalt waren. Joni hatte ihre Freunde unter den Vornamen eingetragen. Unter M, neben Malcolms Namen, hatte sie eines ihrer süßen rosafarbenen Gesichter gekritzelt. Es gähnte, und eine Schnur schwarzer Zs hing aus seinem Mund.
Bliss’ Nummer war belegt. Auch bei Jack war belegt, der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Schweigend legte Rebecca auf, setzte sich ins Atelier, starrte Malcolms Adresse und Telefonnummer an und sagte sich, daß es warten konnte, daß sie es lassen sollte, aber ihre Gedanken kreisten immer wieder um das gleiche Thema, bis sie nicht länger stillsitzen konnte.
Sie sprang auf und ging ins Schlafzimmer. »Ja«, murmelte sie und zog sich Shorts, ein T-Shirt und braune Segeltuchschuhe an. »So bist du eben. Du mußt dich überall einmischen.«
Im Jaguar hatte Caffery die Nummer von Shrivemoor in sein Handy eingegeben und lauschte dem Klingelzeichen. Er stand vor einer Ampel, über die Windschutzscheibe rann der Regen, er hielt das Telefon ans Ohr gepreßt und sah abwesend auf das Gemälde auf dem Beifahrersitz neben sich.
Im Hintergrund stand Joni mit erhobenen Armen auf der Bühne, ihr Kopf war leicht gebeugt, hinter ihr waren der Bühnenvorhang und die Pubfenster zu sehen: Das Firmenzeichen von Young’s Bier war ins Glas eingeschliffen. Und im Vordergrund, in der Mitte, das Profil dem Betrachter zugewandt, war ein Gesicht zu sehen, das Caffery erbeben ließ.
Er nahm das Blatt und neigte es zum Fenster. Das Gesicht, die schlechten Zähne mit den komischen Lücken, wie bei einem Kind, dem die Milchzähne ausgefallen waren, alles war ihm so vetraut wie seine eigenen Hände.
Ich kenne dich, ich kenne dich. Ich kenne deine Stimme, ich habe mit dir geredet, deine Hand geschüttelt.
»Hallo? Einsatzbesprechungsraum.«
Er legte das Bild weg und setzte sich auf. »Ja, Marilyn, hallo, Marilyn.«
»Jack, mein Gott, Maddox ist außer sich Ihretwegen. Sie haben die Morgenbesprechung verpaßt, Sie Idiot.«
»Ich weiß, ich weiß. Entschuldigen Sie mich bitte. Und, Marilyn? Habe ich heute morgen einen Anruf aus den USA bekommen?«
»Ich bin Ihre gute Fee, Jack, vergessen Sie das nicht. Ich habe daran gearbeitet, als Sie noch in süßem Schlaf lagen.«
»Und?«
»Der Zement wird im Süden nicht verkauft, und es gibt nur eine Baufirma in London, die diese Sorte benutzt; Korner-Mackelsons. Ich habe bereits mit der aufgekratzten Sekretärin
gesprochen. Sie haben eine Baustelle in der Nähe von Belmarsh, eine in Canning Town und eine in Lewisham.«
»Lewisham?« Er sah zur Ampel hoch. »In Ordnung. Wo ist Lewisham?«
»Am Rand von Greenwich, Brazil Street. Neben Blackheath Hill. Ein altes Schulgebäude. Sie bauen es in Lofts um.«
Die Ampel schaltete um. Caffery beachtete die Abbiegespur nicht, sondern zwängte sich vor einen Wagen. Jemand hupte anhaltend. »Marylin? Sind Sie noch da?«
»Wie immer.«
»Richten Sie Maddox bitte aus, daß ich mich verspäten werde. Ich brauche noch etwa eine halbe Stunde. Und, Marilyn? Entschuldigen Sie mich, in Ordnung?«
Wegen der blaugestreiften Markisen, die überall ausgerollt waren, erinnerte sie Greenwich heute an Paris. Autos bespritzten die Beine der Fußgänger, und Ladenbesitzer, deren Gesichter von seltsam grünem tropischen Licht beleuchtet waren, sahen aus den Schaufenstern nach draußen. Sie radelte schnell, als könnte sie die bedrückende Angst durch Bewegung ausschwitzen.
Es herrschte dichter Verkehr in Lewisham. Sie fand die Brazil Street schnell, und die Bauarbeiter, die unter dem Gerüst des alten Schulhauses Schutz gesucht hatten, winkten und pfiffen ihr nach, als sie in T-Shirt und Shorts im Regen vorbeiradelte. Sie lehnte ihr Fahrrad an die Garage von Nummer 34A, neben Bliss’ Peugeot. Der Regen prasselte auf das gewellte Plastikdach, als sie auf die Klingel drückte.
»Ja?« Er blinzelte nervös, als er die Eingangstür öffnete und sie davorstehen sah. »Ja? Was möchten Sie?«
»Joni.« Sie wischte sich den Regen vom Gesicht und sah an ihm vorbei in die Wohnung. Ein einzelner grüner Luftballon schwebte wie ein Geist im Flur hinter ihm. »Ist sie da? Ich möchte mit J…«
»Ja. Ich habe Sie verstanden. W-warum glauben Sie, daß sie hier ist? Ha?«
»Ich weiß nicht, manchmal landet sie hier, wenn sie getrunken hat.«
»Mmm …«
»Hören Sie…« Sie schüttelte
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