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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Sir.« Er ignorierte Caffery und streckte Maddox seine gebräunte Hand entgegen, wobei kurz eine superflache Armbanduhr aufblitzte. »Sie werden mich nicht kennen, aber ich kenne Sie vom Met-Yachtclub, Sir.«
    Maddox schwieg einen Moment und sah ihn ausdruckslos an.
    »Chichester«, sagte Diamond, um ihm auf die Sprünge zu helfen.
    »Gütiger Himmel, tatsächlich.« Maddox stand auf und schüttelte ihm die Hand. »Natürlich, natürlich. Ich kenne Ihr Gesicht doch. Also …« Er lehnte sich gegen den Schreibtisch, verschränkte die Arme und sah Diamond von oben bis unten an. »Also Sie sind der Detective, der das Glück hat, bei uns mitzuarbeiten. Willkommen in Shrivemoor.«
    »Danke, Sir.« Seine Stimme war eine Spur zu laut für das kleine Büro, ganz so, als sei er gewohnt, daß man ihm zuhörte. »Ich komme direkt aus dem ruhigen Eltham.«
    »Wir teilen Sie umgehend ein; Sie und Ihre Männer gehen morgen von Tür zu Tür. In einem Umkreis von drei Meilen. Ist Ihnen das recht?«

    »Das wird es wohl sein müssen, nicht wahr? Der Chief Superintendent will, daß wir Routinearbeiten übernehmen, das ansässige Team unterstützen.«
    Maddox schwieg einen Moment. »Ja, dagegen ist nicht viel zu machen«, sagte er langsam. »Dagegen können wir nicht viel tun, Mr. Diamond. Ich bin sicher, Sie begreifen das.«
    »Aber natürlich«, sagte er. »Natürlich ist mir das klar. Ich habe absolut kein Problem damit. Überhaupt keines. Wenn der Chief Superintendent das so will, bin ich natürlich einverstanden – das ist gar keine Frage.« Er nickte. Und dann, ganz so, als wolle er einen Schlußstrich unter das Thema ziehen, deutete er auf die Fotos an der Wand und sagte: »Hübsches Boot. Gehört es Ihnen?«
    »Ja, ja«, antwortete Maddox zögernd.
    »Eine Valiant.«
    »Ja, das stimmt, tatsächlich.«
    »Gute Boote, die Valiants. Manche finden sie ein bißchen klobig, aber ich mag sie. Sie liegen gut am Wind.«
    »Ja, nun.« Maddox taute ein wenig auf. »Ich sag’s nicht gern, aber die Amerikaner stellen einfach die besten Segelschiffe her. Natürlich ist es reine Geldverschwendung.«
    »Ein Kutter hat dieses Jahr die Met-Regatta von Frosbite gewonnen.« Diamonds Zunge bewegte sich in seinem Mund. »Das waren nicht zufällig …?«
    »Ja.« Maddox nickte bescheiden. »Doch.«
    Caffery, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte, war überrascht, daß das Gespräch ihn ärgerte. Als hätte er allein das Anrecht auf Maddox’ Unterstützung und Anteilnahme, als dürfe diese Gunst nicht nach Lust und Laune auf einen anderen Detective übertragen werden. So irrational das auch sein mochte. Er ist nicht dein Vater, Jack, du hast keinerlei Anrecht auf ihn. Es ärgerte ihn, daß Maddox für Schmeicheleien so anfällig war, und als Diamond, übers ganze Gesicht entzückt strahlend, sagte: »Gütiger Gott, gütiger Gott. Na warten Sie, bis ich meinen Kollegen erzählt habe, mit wem ich da zusammenarbeite«  – wandte Caffery sich ab und verließ leise den Raum.

7. KAPITEL
    A n diesem Abend saß Caffery an seinem Schreibtisch in Ewans Zimmer und starrte auf die Wolken von Windows 98 auf seinem Bildschirm. Die oberen Äste der alten Rotbuche warfen schwankende, kupferfarbene Schatten an die Decke. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, daß die frischen Blätter die vier rostigen Nägel verbargen, die tief im Fleisch des Baums und in den paar bemoosten Brettern steckten: den Überresten des Baumhauses, in dem Ewan und er als Kinder gesessen und zu den Zügen hinübergerufen hatten, die unten auf dem Bahndamm vorbeidonnerten.
    Manchmal, wenn er allein war, versuchte Jack, sich angestrengt zu erinnern, wie es war, wie er war. Früher. Er trug das Bild eines Kindes in sich, das leichter war als eine Feder, und durch nichts davon abgehalten werden konnte, über die Dachfirste hinweg in die blaue Luft davonzuschweben.
    Und dann – jener Tag, der als Abfolge verwackelter, nachlässig zusammengestoppelter, leicht körniger Bilder in seiner Erinnerung gespeichert war, ganz so, als hätte er gemogelt und die Erinnerungen nicht dem wirklichen Leben, sondern einem 8-mm-Film entnommen, der in einem dunklen Winkel auf dem Dachboden seiner Eltern verstaut war.
    Es war Mitte September 1974, ein windiger, sonniger Tag, und die trockenen Planken des Baumhauses knarrten, als die Buche, die noch immer grün war und voll im Saft stand, im Wind schwankte.
    Jack und Ewan hatten sich gestritten. Sie hatten auf einem Abfallhaufen vier

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