Der Vogelmann
Dielenbretter gefunden; Ewan wollte in den
südlichsten Ästen des Baums eine Aussichtsplattform errichten, um darauf die Züge zu beobachten, die vom Bahnhof in Brockley kommend hier vorbeifuhren. Jack wollte die Plattform auf der Nordseite anbringen, um über die Gleise auf die nebligen Brücken von New Cross zu sehen und die Gesichter der Pendler zu erspähen, die, mit der London Evening News in der Hand, nach Hause fuhren.
Jack, ein jähzorniger Achtjähriger, drängte seinen Bruder gegen den Baumstamm. Ewans Reaktion darauf war gewalttätig und verblüffend; er fand das Gleichgewicht wieder, streckte die kräftigen Arme aus, hämmerte auf Jack ein und brüllte: »Ich sag’s, ich sag’s.« Speichel floß ihm aus dem Mund. »Ich sag’s Dad.«
Jack verlor das Gleichgewicht, er wurde an den Rand des Baumhauses geschleudert und fing sich erst wieder, als er halb über der Plattform hing; seine Shorts waren an einem Nagel zerrissen, seine Beine baumelten herunter, und der Daumen seiner linken Hand war zwischen zwei Bretter festgeklemmt. Er geriet außer sich vor Schmerz.
»Dann sag’s doch. Sag’s doch, verdammt noch mal.«
»Das mach’ ich auch!« Ewan verschanzte sich hinter grollenden Schuldgefühlen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, seine Unterlippe schob sich vor. »Ich hasse dich sowieso, du gemeiner Mistkerl.«
Er drehte sich um, kletterte mit zornverzerrter Miene die Strickleiter hinunter und sprang auf den Bahndamm. Laut fluchend befreite Jack seinen Daumen, zog sich wieder ins Baumhaus hinauf und blieb, still atmend, die Hand zwischen die bloßen Knie geklemmt, dort liegen. Er war wütend und erschöpft.
Unter dem Baumhaus, wo die Böschungen des Bahndamms in einen breiten Streifen wirren Buschwerks ausliefen, hatten die Brüder für ihre Spiele ein Netz von Wegen angelegt, von denen jeder sorgfältig erforscht, verzeichnet und benannt worden war; ein kompliziertes Gewirr aus Trampelpfaden, das sich
bis in das Dickicht aus Rankengestrüpp erstreckte. Wie Jack vom Baumhaus aus beobachtete, schlug Ewan den südlichen Pfad ein, den sie den »Todespfad« genannt hatten, weil er an einem verrosteten Tauchsieder vorbeiführte. Siehst du da, Ewan? Das ist eine nichtexplodierte Bombe. Eine V2 vermutlich. Sein hübscher dunkler Kopf tauchte ein paarmal über dem Buschwerk auf, sein senffarbenes T-Shirt leuchtete. Er erreichte die Lichtung, die sie als Lager 1 bezeichneten, hinter dem die DMZ lag, die demilitarisierte Zone, die tödliche V2 und das Land der Gooks.
Jack verlor das Interesse. Ewan war immer sehr schnell eingeschnappt. Es langweilte ihn. Wütend und von Schmerzen geplagt ließ er sich vom Baum herunter, ging ins Haus und jammerte über den schwarz-gelb verfärbten Fleck, der sich unter seinem Fingernagel bildete.
Später war es das Baumhaus, das seine Mutter mehr bedrückte als alles andere. Caffery sah sie deutlich vor sich, wie sie plötzlich bei der Reinigung des Backofens oder mitten unter dem Abwasch innehielt und starren Schritts in den Garten lief, dort stehenblieb und den Baum anstierte, während von den rosafarbenen Gummihandschuhen Seifenlauge ins Gras tropfte. Es war der letzte Ort, an dem sie ihren Sohn gesehen hatte.
Und dann die halb hysterischen, hilflosen Ausbrüche ihrem Mann gegenüber. Was soll das Baumhaus, Frank; warum ist es noch da, obwohl er nicht mehr da ist? ERKLÄR MIR DAS, Frank! Sag’s mir!
Und Cafferys Vater hielt sich die Ohren zu und sank, mit den zerknüllten Seiten der Sportzeitung auf dem Schoß, in den Sessel, unfähig, den Schmerz seiner Frau zu ertragen, bis er eines Tages einen Hammer nahm und, noch mit Hausschuhen an den Füßen, in den Matsch und Regen hinausmarschierte.
Caffery war in dieses Zimmer hinaufgeschlichen und hatte sich auf das nachgebende Bett gestellt, um vom Fenster aus zuzusehen, wie das Holz krachte, Bretter auf den Boden fielen
und die Strumpfhose seiner Mutter, die schluchzend auf dem aufgewühlten Rasen stand, mit Schlamm bespritzt wurde.
Und dann bemerkte er durch die kahlen Äste der Bäume auf der anderen Seite des Bahndamms etwas anderes.
Ivan Penderecki. Blaß, die fleischigen Arme auf seinen verfallenen Holzzaun gestützt, stand er mit einem Anflug von Lächeln auf dem Gesicht im grauen Regen.
Etwa zwanzig Minuten blieb Penderecki so stehen, während sich das Haus hinter ihm gegen die dunklen Wolken abzeichnete. Dann drehte er sich um, als wäre er zutiefst befriedigt, und ging davon.
Für den neunjährigen
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