Der Vogelmann
ein bißchen, es ist ein bißchen ungünstig im Moment.« Sie hatte eine sehr nette, sanfte Stimme, wohlerzogen und wohlklingend, eine Stimme, die mit einem Flüstern Gespräche zum Verstummen bringen konnte. »Können wir hier draußen reden?«
»Der Kiff interessiert uns nicht«, sagte Caffery.
»Was?«
»Ich kann ihn riechen.«
»Oh.« Sie sah verlegen auf ihre Füße.
»Deswegen sind wir nicht hier. Wirklich.«
»Ähm.« Sie zog die volle Unterlippe unter strahlendweiße Zähne. »Na schön, na schön.« Sie drehte sich um. »Dann kommen Sie rein.«
Sie folgten ihr ins Innere des kühlen Hauses, gingen an einem Mountainbike vorbei, das ans Treppengeländer gelehnt war, und Essex bekam glasige Augen angesichts des wehenden Haars und der langen, braunen Beine, die vor ihm die Treppe hinaufstiegen.
Im Inneren der Wohnung führte sie die beiden durch einen kleinen Gang – in einem Schlafzimmer zur Rechten erhaschte Caffery einen Blick auf ein achtlos abgeworfenes Baumwollhöschen, das in einer Insel aus hellem Sonnenlicht lag, bevor Rebecca die Tür schloß – und brachte sie in einen großen sonnigen Raum.
»Mein Atelier«, sagte sie.
Licht strömte durch zwei hohe Schiebefenster herein, das weiße Rechtecke auf die nackten Bodendielen warf. An den Wänden hingen fünf riesige Aquarelle in leuchtendbunten Farben. In der Mitte des Raums versprühte ein Mädchen, das ein rückenfreies Oberteil und eine limonengrüne ausgestellte Hose trug, hastig dichte Wolken von Deo-Spray in der Luft, die sie mit den Armen verteilte, an denen Armbänder klirrten. Als sie sie kommen hörte, ließ sie die Sprühdose sinken, griff schnell nach einem kleinen, in Folie verpackten Briefchen auf dem Tisch und wandte sich ihnen wie ein Kind zu, das man bei etwas Verbotenem ertappt hatte. Ihr Haar war wikingerblond gefärbt, ihr stupsnasiges Gesicht wie das einer Porzellanpuppe bemalt, ihre blauen Augen waren grotesk aufgerissen. Caffery war klar, daß sie bedröhnt war.
»Joni?« Er zückte seinen Ausweis. »Joni Marsh?«
»Ähm, ja.« Sie warf einen Blick auf den Ausweis. »Und wer sind Sie?«
»Polizei.«
Sie riß die Augen noch weiter auf. »Polizei ? Becky, was zum…?«
»Schon in Ordnung«, sagte Rebecca. »Der Stoff interessiert sie nicht.«
»Ja?« Unschlüssig und zappelig trat sie von einem Fuß auf den anderen.
»Ja«, sagte Caffery.
Joni strich das Haar hinter die Ohren und musterte ihn mit argwöhnisch flackernden Augen, während sie auf die Hemdsärmel, das dunkle, ungekämmte Haar und den flachen Bauch sah. Plötzlich kicherte sie laut. »Nein, wirklich.« Sie legte die Hand auf den Mund. »Wirklich die Polizei? Bist du sicher ?«
»Hören Sie zu, Joni.« Caffery steckte seinen Ausweis in die Hemdtasche. »Sie legen das Zeug jetzt weg. Vielleicht können wir dann zur Sache kommen?«
Verständnislos blinzelnd sah sie von ihm zu Rebecca und wieder zu Caffery zurück. Ihr Make-up erinnerte an die Obduktionsfotos: leuchtendmeerblauer Lidschatten und ein Mund, dessen Oberlippenbogen stark überzeichnet war. »Sind Sie sicher, daß Sie von der Polizei sind?«
»Joni«, wiederholte er. »Das Marihuana. Wollen Sie es nicht weglegen?«
»Joni.« Rebecca nahm ihren Arm. »Komm her.« Sie führte sie in die Küche, und die beiden Männer hörten Rebecca mit leiser geduldiger Stimme auf sie einreden. Durch den Türspalt konnte Caffery einen großen Eichentisch erkennen, an der Wand hingen Matisse-Drucke, und in einer Nische stand eine Gefriertruhe. Plötzlich hörte er Jonis Schritte auf der Treppe, eine Tür schlug zu, mit klappernden Absätzen kam sie wieder herunter, und dann unterhielten sich die beiden Frauen in der Küche, während sie kichernd im Kühlschrank herumwühlten.
Caffery steckte die Hände in die Taschen, wanderte im Raum umher und sah beiläufig auf die Skizzen, die auf Zeichentische aufgespannt waren. Es waren viele mit verwischter Kohle gezeichnete Akte darunter, hier und da war ein Arm erkennbar, dort der Umriß eines Kopfes. Ein großes Aquarell zeigte eine
Frau, die zu dreiviertel dem Betrachter zugewandt war und sorgfältig einen Strumpf über die Wade hinunterrollte.
»Hey.« Essex betrachtete ein halbfertiges Gemälde, das auf einer Holzstaffelei stand. »Jack. Sehen Sie sich das mal an.«
Eine Frau stand vor einem burgunderfarbenen, mit Quasten besetzten Vorhang und hielt mit vollkommener Unbekümmertheit die Arme erhoben. Ihr Publikum, drei Männer, waren mit breiten flachen
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