Der Vogelmann
und der Vorfall wurde nie wieder erwähnt.
Während der folgenden Monate zog sich Toby immer mehr zurück. Er verlangte ein Schloß an seiner Schlafzimmertür, und während der Nachmittage lag er mit blassen, über dem Bauch gefalteten Händen da und lauschte den leidenschaftlichen Wutanfällen Lucillas auf den Gängen draußen. Ihre bloße Existenz verursachte ihm Magenkrämpfe; manchmal stellte er sich vor, sie habe heimlich seine Kissenüberzüge aus der Wäsche genommen und ihre Körpersäfte hineingerieben; er hatte den Eindruck, sie überall zu riechen, wohin er auch ging. Er lernte, mit dem Gesicht nach unten, den Bauch fest an die Matratze gepreßt zu schlafen, nur für den Fall, daß sie eine Möglichkeit fände, in sein Zimmer einzudringen. Niemals schlief er ein, ohne absolut sicher zu sein, daß seine Mutter auf der anderen Seite des Hauses in ihrem Bett lag.
Zwei Jahre später, nach seiner ersten Jagd, traf Toby in der Familienbibliothek Sophie, die Tochter eines Anwalts aus der Gegend. Lang, dünn und abweisend wie Marmor, stand sie aufrecht und weiß gegen die reichverzierte Täfelung gelehnt. Sie war alles, was Lucilla nicht war. Der vierzehnjährige Toby
reichte ihr ein Glas Champagner und war ebenso überrascht wie begeistert, als er spürte, daß die Finger, die es entgegennahmen, kälter waren als der Stiel des gekühlten Glases.
Lucilla bemerkte die Zuneigung sofort und beschloß, daß noch in diesem Sommer seine Einführung ins Erwachsenenleben stattfinden sollte. Sie schickte Vater und Sohn ins Ausland. Sie flogen nach Südostasien, nach Luzon, um genau zu sein, und Henrick, der seine eigenen Vorstellungen davon hatte, wie sein Junge erzogen werden sollte, führte Toby in ein Bordell, wo er fünfzehn Mädchen gegenüberstand, die hinter einer deckenhohen Scheibe auf Kundschaft warteten.
Toby wählte das dünnste, blasseste Mädchen. Im Bett befahl er ihr, nicht zu sprechen, sich nicht zu bewegen, nicht zu strampeln und nicht zu stöhnen. Als er am nächsten Morgen auf dem Balkon über dem sonnenbeschienenen Pasay Kaffee trank und gebratene sinangag aß, hatte er das überwältigende Gefühl, daß etwas Abnormales in ihm geboren worden war.
Einen Monat später erwischte ihn seine Mutter mit Sophie zwischen den Eibenhecken; er hatte die Jodhpurhosen bis zu den Knien heruntergelassen, sie hatte die Augen geschlossen, ihr langes Gesicht war ruhig, und sie hielt so still wie für eine Röntgenaufnahme. Als Toby, wieder angezogen, im Haus erschienen war, hatte Lucilla bereits einen Riesenkrach veranstaltet. Die Dienstboten rannten ziellos vor dem Haus herum, und Toby schaffte es gerade noch, nicht von dem düster dreinblickenden Henrick überfahren zu werden, der den Landrover wendete und mit aufspritzendem Kies durch den Vorhof und die Einfahrt hinunterraste.
Die Botschaft war klar: Toby müßte sich mit Lucilla allein auseinandersetzen.
Von den Dienstboten beobachtet, stieg Toby die Treppe hinauf und legte mit halb geschlossenen Augen seine weiße Hand auf die schwere Eichentür, während er auf das kaum wahrnehmbare Zittern wartete, das ihm verriet, wo ihm Haus seine Mutter ihn erwartete.
Sie befand sich im großen Speisesaal, wo sie unter den Antwerpener Bildteppichen auf und ab ging und geräuschvoll durch die Nase atmete. Das blaue Licht, das durch die Fenster einfiel, beleuchtete die feinen Tränenspuren auf ihren Kinnbacken. Es war das erste Mal, daß sie nach dem Vorfall im Badezimmer allein miteinander waren.
»Mutter.«
»Setz dich.«
Er setzte sich ans Tafelende, auf den Platz seines Vaters. Zu seiner Linken sah man durch das blaue Fenster auf die weitläufigen Rasenflächen und die dunklen Zypressen, aber der getäfelte Speisesaal war dunkel, als hätten sich die Spannungen all der Jahre hier aufgestaut. Lucilla ließ sich auf den Mahagonistuhl fallen, auf dem sie immer saß, schloß die Augen, legte beide Hände auf ihren heißen Hals und schüttelte den Kopf. »Dieses blutarme Wesen. Ihr Vater ist ein verdammter Päderast, sie ist ein Irrtum der Natur.«
Toby blieb ruhig. »Ich habe keine Zeit für einen Auftritt, Lucilla. Sag mir einfach, was ich jetzt tun soll.«
Daraufhin öffnete sie die Augen, während ihre Hände zitternd auf ihrem Hals ruhten. »Was habe ich getan, um so einen Sohn zu verdienen?«
»Sag mir, was ich jetzt tun soll.«
»Du gehst nach Sherborne, bis es Zeit ist, an die Universität überzuwechseln.«
»Ist das alles?«
»Und da du mich so
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