Der Vogelmann
die Kündigung befanden. Er hatte sich damit abgefunden, er wußte genau, was in den kommenden Wochen passieren würde. Er konnte keine Zeugen brauchen.
Die Mechanismen des Todes waren einfach für jemanden mit seiner Ausbildung, es fiel ihm nicht schwer zu töten. Während der nächsten sechs Monate kamen andere. Etwa eine alle fünf Wochen. Harteveld glaubte, er sterbe, werde von innen her aufgezehrt. Vergessen fand er nur in jenen Stunden, die er mit den Frauen verbrachte.
Bis Ende Mai waren es fünf Leichen, und für den Tod jeder einzelnen Frau war er verantwortlich.
Die zwanzigjährige Peace Nbidi Jackson, die reizende jüngere Tochter von Clover Jackson, war in jener Donnerstagnacht im Haus erschienen, gerade als der Chief Superintendent in Eltham eine Presseerklärung abgab, so daß Harteveld in dem Moment, als die Türklingel läutete, noch immer nichts von der Entdeckung der Polizei wußte: von den fünf mit Würmern durchsetzten Leichen, die auf einem Ödland in East Greenwich gefunden worden waren.
Er stellte sein Glas auf den Kaminsims, berührte leicht Lucillas gemaltes Gesicht und ging zur Tür.
»Du bist gekommen. Wie nett.«
Sie stand auf der Türschwelle, ihre bloßen Arme glänzten kupferfarben im Zwielicht. Er betrachtete sie lange, da er wußte, daß er der letzte Mensch auf Erden wäre, der dieses Mädchen lebend zu Gesicht bekäme.
»Kann ich reinkommen, oder was?«
»Ja, ja, natürlich. Tut mir leid.« Er trat zurück und ließ das
Mädchen eintreten, das mit aufgerissenen Augen die kathedralenhafte Größe des Hauses bestaunte. Falls sie den Geruch bemerkt hatte, so schien sie sich nicht darum zu kümmern. »Geh nur weiter, ich hole dir einen Drink.« Er folgte ihr ins Wohnzimmer, drehte die Lichter an und öffnete den Getränkeschrank. »Möchtest du etwas von hier? Oder Wein?«
Peace saß aufrecht gegen die seidenen Braquenie-Kissen gelehnt. »Haben Sie Baileys?«
»Ja. Natürlich.« Harteveld griff in die Tiefen des Schranks. Er hätte es wissen sollen. Die Mädchen wollten immer etwas Süßes. Er goß den Baileys in ein schweres Bleikristallglas. »Ich nehme an, daß du einen Namen hast.« Mit seinen schlanken Fingern hielt er das Glas ins Licht. »Oder nicht?«
»Peace.«
»Das ist hübsch.« Er lächelte nicht.
Peace sah ihn von der Seite an. »Warum soll ich nichts über die Verabredung sagen?«
Harteveld stellte das Glas mit dem Baileys auf den Tisch, ging zum Schrank zurück und goß sich Pastis ein. »Peace, ich bin in der glücklichen Lage, mich weniger um Geld als um Diskretion zu sorgen. Hier.« Er öffnete die kalbslederne Brieftasche, nahm zehn Zwanzigpfundnoten heraus, die er fachmännisch knickte und faltete, und spreizte die Finger ein wenig weibisch ab, als er sie ihr reichte. »Ich halte meinen Teil der Abmachung ein. Und glaub mir, ich erfahre es, wenn du deinen nicht einhältst.«
Peace sah sich um, auf den großen Flügel, das Porträt von Lucilla und Henrick über dem Kamin, auf die Kristallkaraffen, und schien zufrieden zu sein. Sie nahm ihr Glas und lehnte sich in die Kissen zurück. »Ich habe keinem was gesagt.«
»Gut. Also …« Er setzte sich auf die Sofalehne. »Wenn du ans Ende des Tisches siehst, siehst du eine kleine Elfenbeinschachtel. Kannst du sie sehen?«
Auf dem chinesischen Lacktisch stand eine erlesene Schachtel aus Ju-Holz und Elfenbein. Peace beugte sich darüber und inspizierte sie. »Ja.«
»Mach sie auf.«
Sie hob den Deckel. Auf einem Bett aus weißem Puder lag ein silberner Kokslöffel.
»Es ist das beste. Das reinste. Oder vielleicht…« Er nahm einen Schluck von seinem Getränk. »Vielleicht möchtest du lieber Heroin.«
»Heroin?«
»Ja.«
Sie sah zu ihm auf, und ihre Zähne blitzten, als sie lächelte. »Wenn es gut ist, möchte ich natürlich welches.«
»Das beste, das allerbeste.« Harteveld stand auf, sein Hemd spiegelte sich fahl im dunklen Fenster wider. Er streckte die Hand aus. »Dann komm mit mir. Wir gehen es holen.«
Peace wollte wissen, was hinter der Eichentür war. »Riecht schlecht«, sagte sie. »Putzen Sie denn nie dort drinnen?«
»Kümmer dich nicht darum.« Harteveld führte sie von der Tür fort den Hauptgang hinunter.
»Was ist denn dort drinnen? Gehört das auch zum Haus?«
»Ich zeig es dir später«, versprach er und drückte ihre Schulter. »Darüber mußt du dir jetzt keine Gedanken machen.«
In der Küche erhitzte er schnell etwas Heroin in einer eierbechergroßen Pfanne.
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