Der Vollstrecker
Er hob drei knochige Finger. Die Nägel waren dreckverkrustet.
»So gut kenne ich sie auch wieder nicht«, wiegelte Claire ab, während sie sich unauffällig die Hand vor die Nase hielt. »Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag, Mr â¦Â«
»Petrosky. Pat Petrosky.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Pat.« Sie kritzelte ihren Namen und ihre Telefonnummer auf ein Stück Papier und legte es auf den Tresen. »Wenn Sie mich anrufen, sobald Sie sie sehen â und ich meine noch in derselben Sekunde â, dann verdienen Sie sich hundert Dollar. Na, wie klingt das?«
Pat las den Zettel, ohne ihn in die Hand zu nehmen. Als er danach aufsah, schaffte es sein Blick nicht bis zu Claires Gesicht, sondern blieb an ihrem Dekolleté hängen. »Okay, Claire. Wir haben Abmachung.«
Bis jetzt hatte Claire noch nichts von ihm gehört. Sie saà da, starrte den Bildschirm ihres Laptops an und tippte sich rhythmisch mit einem Kugelschreiber gegen die Schneidezähne. Eine letzte Trumpfkarte hatte sie noch, die sie ausspielen konnte. Durch Zufall war es ihr gelungen, eine Bekannte von Mollie ausfindig zu machen, eine dreiundzwanzigjährige Kellnerin namens Susan, die bis vor kurzem mit ihr im selben Diner gearbeitet hatte.
Claires Handy auf dem Schreibtisch vibrierte. Hastig riss sie es an sich.
»Claire Anderson.«
Es war die Frau aus der Telefonzentrale. Wie alle Reporter in der Probezeit hatte auch Claire keine eigene Durchwahl, so dass sämtliche Anrufe, die für sie in der Zentrale der L. A. Times eingingen, auf ihr Handy umgeleitet wurden.
»Miss Anderson? Ich habe hier jemanden in der Leitung, der Sie sprechen möchte.«
»Wer denn?«
»Er will seinen Namen nicht nennen. Er hat bereits gestern mehrmals angerufen, und heute auch schon. Ich habe seine Stimme wiedererkannt.«
»In Ordnung, stellen Sie ihn durch.« Sie hörte ein Klicken in der Leitung. »Hier spricht Claire Anderson.«
»Die Reporterin?«
»Ja«, lachte sie, »die Reporterin. Und wie darf ich Sie nennen?«
»Sie könnten mich Freund nennen.«
Claire schloss kurz die Augen und unterdrückte einen resignierten Seufzer. Das Wort âºCrackheadâ¹ schoss ihr durch den Kopf. »Wie kann ich Ihnen helfen, Mr ⦠Freund?«
»Ich wollte fragen, ob wir uns treffen können. Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen.«
»Und in welcher Angelegenheit möchten Sie sich mit mir treffen?«
Keine Antwort, nur laute Atemgeräusche.
»Hallo � Sind Sie noch dran?«
»Ja. Ich bin noch da.«
»Also, weswegen wollen Sie sich mit mir treffen?«
»Wegen jemandem, den Sie in Ihrem Artikel erwähnt haben â der Hellseherin.«
Claire setzte sich kerzengerade auf. Etwas in der Stimme des Mannes jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
» Sie ist nicht die, für die Sie sie halten.«
99
E ine geschlagene Minute lang sagte niemand ein Wort. Captain Blake trat von einem Fuà auf den anderen. Garcias Vermutung, dass Darnell Douglas sich vor Spritzen fürchtete, hatte bei ihr einen Nerv getroffen. Sie selbst konnte Spritzen auch nicht leiden.
»Wenn er Angst vor Spritzen hatte, was soll dann der Schlauch in seinem Mund?«, fragte Captain Blake irgendwann und zeigte auf Darnell. »Hat der Killer ihm Nahrung eingeflöÃt?«
Dr. Winston lieà sich mit der Antwort Zeit. »Ich kann erst Genaueres sagen, wenn das Opfer bei mir auf dem Sektionstisch liegt, aber ich glaube nicht. Das ist ein Intubationsschlauch.«
Ein neuerlicher Schauer kitzelte Blakes Nacken. »Der Killer hat das Opfer intubiert? Warum?«
»Schauen Sie genau hin. Was fehlt in diesem Bild?« In den scharfen Augen des Rechtsmediziners lag eine Herausforderung an alle.
Gehorsam richteten sie den Blick wieder auf das groteske Bild eines Mannes, dessen Körper mit zweihundertundfünfzig blutgefüllten Spritzen gespickt war.
»Ich gebâs auf, und auÃerdem habe ich keine Lust auf Ratespielchen, Jonathan«, sagte Blake streng. »Sagen Sie es mir: Was fehlt?«
»Fesseln«, sagte Hunter und trat noch einen Schritt näher. »Das Opfer ist nicht an den Stuhl gefesselt. Er sitzt einfach nur da, als hätte er alles freiwillig über sich ergehen lassen.«
»Bingo«, sagte Dr. Winston. »Fesseln wären für diese Art von Mordmethode auch nicht tauglich
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