Der Vollstrecker
L. A., und ich kann es ihr nicht verübeln. Die Stadt ist einfach zu gewalttätig geworden.«
»Das kann ich nur unterschreiben«, pflichtete Dr. Winston ihm bei. »Das, was wir im Leichenschauhaus zu sehen kriegen, wird mit jedem Jahr abscheulicher. Als hätte niemand mehr Respekt vor dem Leben. Und die Zahlen steigen ständig. Wir kommen kaum noch hinterher.«
Hunter beschloss, dass ein Themenwechsel angezeigt war. »L. A. wird Ihnen vielleicht nicht fehlen«, meinte er, an Bolter gewandt. »Aber wir schon, das weià ich ganz genau.«
»Klar, wie ein Loch im Kopf«, gab Bolter zurück und zog an seiner Zigarre.
Sie alle lachten.
»Na ja, wenigstens ist der neue Captain um einiges hübscher anzusehen als ich.«
»Das ist wohl keine Kunst«, entgegnete Hunter schlagfertig. »Was ist jetzt â hören Sie bald mal auf, so ein Geheimnis darum zu machen, wer unser neuer Captain wird?«
»Was denn, die wissen es noch gar nicht?«, sagte Winston.
»Sie etwa?«, fragte Hunter verblüfft.
»Aber gewiss doch.«
Hunter fixierte Captain Bolter mit einem vorwurfsvollen Blick.
»Sehen Sie mich nicht an wie ein Eheweib auf dem Kriegspfad«, warnte Bolter. »Davon kriege ich zu Hause schon genug. AuÃerdem sollte es eine Ãberraschung sein.« Sein breites Grinsen weckte sogleich Argwohn in Hunter.
»Eine Ãberraschung wird sie ganz sicher.« Dr. Winston lachte.
»Sie?« Hunter sah zwischen den beiden Männern hin und her.
Captain Bolter hielt die Spannung noch einige Augenblicke, bevor er schlieÃlich nachgab. »Barbara Blake.«
»Sagen Sie, dass das ein Scherz ist.« Hunter lieà sich gegen den rustikalen Terrassentisch sinken.
»Wieso? Weil sie eine Frau ist?«, fragte der Captain mit gerunzelter Stirn.
»Nein, weil sie Barbara heiÃt. Es kann doch nicht sein, dass das Morddezernat ab jetzt einem Captain Barbie untersteht.«
»O-oh, kommen Sie bloà nie auf die Idee, sie Barbie zu nennen.« Dr. Winston schüttelte den Kopf.
»Er hat recht«, setzte Captain Bolter hinzu. »Es sei denn, Sie sind Ihrer Eier überdrüssig. Lassen Sie sich nicht von der Tatsache täuschen, dass sie eine Frau ist, Robert. Sie hat hervorragende Führungsqualitäten und kann, wenn nötig, zur rasenden Bestie werden. Das hat sie oft genug unter Beweis gestellt. Wir waren zwei Jahre lang Partner, bevor sie darum gebeten hat, nach Sacramento versetzt zu werden.«
Hunter hörte eine gewisse Wehmut in der Stimme des Captain mitschwingen. »Nur Partner im Job?«, fragte er, nachdem er den letzten Schluck Single Malt aus seinem Glas geleert hatte.
»Denken Sie nicht mal dran, mich hier auf die Psycho-Couch zu legen, Robert. Damit ist jetzt Schluss.« Captain Bolter zeigte anklagend mit der Zigarre auf Hunter.
»Würde mir nicht im Traum einfallen.«
»Da sind Sie ja, Captain.« Lieutenant Sheldon steckte den Kopf durch die Tür nach drauÃen. »Ihr Typ wird verlangt. Und wir möchten endlich alle wissen, wer Ihr Nachfolger wird. Schluss mit der Geheimniskräme-rei.«
»Tja, dann wollen wir mal.«
Hunter lieà die beiden allein hineingehen.
15
D as Hauptgebäude des Rechtsmedizinischen Instituts von Los Angeles befand sich in der Mission Road 1104. Die auÃergewöhnliche Architektur erinnerte vage an die eines Renaissance-Palastes. Historisch anmutende Laternenpfähle flankierten den extravaganten Eingangsbereich. Ein terrakottafarbener Anstrich und Schmuckelemente aus Sandstein zierten die Fassade des ehemaligen Krankenhauses. Das Gebäude hätte besser auf den Campus eines alteingesessenen Colleges in Oxford gepasst als in die Innenstadt von L. A.
Die Kriminalistik-Studenten Nelson Fenton und Jamaal Jackson hatten noch eine Stunde bis zum Ende ihrer Nachtschicht. Obwohl ihre Arbeitszeiten kurz und die Arbeiten selbst relativ simpel waren, brauchte man dafür einen robusten Magen. Als Sektionsassistenten mussten sie die Leichen transportieren, fotografieren, säubern und für die Autopsie vorbereiten.
»Wie viele sind noch auf der Liste?«, fragte Jamaal und zog sich den Atemschutz vom Mund, so dass er ihm lose um den Hals hing. Sie waren gerade mit der Leiche eines fünfundsechzigjährigen Mannes fertig geworden, den sein eigener Sohn mit zweiundfünfzig Messerstichen getötet hatte.
»Zwei.« Nelson zeigte
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