Der Vollstrecker
»Glaub mir, ich kenne mich aus damit. Ich habe selbst welche.«
Einen langen Moment betrachtete Garcia die Narben in seinen Handflächen. »Ich auch«, meinte er leise. »Seit dem Kruzifix-Killer.«
Sie lasen eine Weile schweigend weiter, bis Garcia schlieÃlich einen halblauten Fluch ausstieÃ. »Fuck! Das gibtâs doch nicht.«
Hunters Kopf schnellte in die Höhe. »Was?«
»Vater Fabians Alptraum. Das glaubst du nie â¦Â«
35
H unter wartete, aber mehr kam nicht. Garcias Blick klebte förmlich auf der Seite, die er aufgeschlagen hatte.
»Carlos. Was hast du gefunden?«
Garcia lieà sich gegen die Lehne seines Stuhls sinken und holte ein paar Mal tief Luft. »Pass auf.« Er blätterte eine Seite zurück.
Es ist schon sehr spät, und ich kann nicht schlafen. Vor ungefähr einer Stunde bin ich aus meinem Traum aufgewacht, und diesmal war er noch viel realer als sonst. So real, dass ich mich direkt im Bett übergeben musste.
Ich habe solche Angst.
Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass man sich von seinen Ãngsten befreien kann, indem man sie aufschreibt. Ein symbolischer Akt, durch den man die Angst aus seinem Kopf auf das Papier überträgt.
Garcia sah fragend zu Hunter.
»Das ist eine bewährte Technik«, bestätigte dieser.
Garcia blätterte um und las weiter.
Dies ist jetzt also das erste Mal, dass ich etwas darüber schreibe.
Als wir jung waren, haben wir uns für unbesiegbar gehalten. Ich und meine Freunde. Wir haben alle terrorisiert â Schüler, Lehrer, Nachbarn. Wir dachten, wir wären die GröÃten â knallharte Jungs.
Garcia verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln. Er hatte sichtlich Mühe damit, sich Vater Fabian als »knallharten Jungen« vorzustellen.
Eines Abends haben wir uns wie so oft im Park herumgetrieben. Uns war langweilig. Wir hatten schon am Nachmittag angefangen zu trinken, und einige waren dazu noch high. Jemand sah einen streunenden Hund, der einen Mülleimer durchwühlte. Es war ein klapperdürres Tier mit struppigem grauem Fell. Sein Körper war an mehreren Stellen mit Schorf überkrustet, vielleicht Verletzungen, die er in einem Kampf davongetragen hatte. Plötzlich sprang einer aus unserer Gruppe auf und fing an, den Hund zu jagen. Dann haben wir nacheinander alle losgelegt, wir waren wie besessen. Wir haben gejohlt und geschrien: »Schnapp ihn dir ⦠schnapp ihn dir!« Der Hund konnte nicht richtig laufen, mit einem seiner Beine stimmte etwas nicht, also ist er in seiner Panik davongehinkt.
Hunter stützte beide Ellbogen auf den Schreibtisch und lehnte sich vor. Garcia las weiter.
Es dauerte nicht lange, bis wir ihn umzingelt hatten. Wir hatten ihn vor einer Hecke in die Ecke gedrängt. Das arme Tier zitterte am ganzen Leib. Es war zu schwach und zu verängstigt, um sich zu wehren, also sah es uns bloà mit seinen traurigen Augen an, als wollte es uns anflehen, ihm nichts zu tun, und lieà dann den Kopf hängen.
Ich habe versucht, den anderen zu sagen, sie sollen das arme Tier in Ruhe lassen, es hatte ja nur nach etwas zu fressen gesucht, aber keiner hat auf mich gehört.
Garcia hielt inne, um tief Atem zu holen, bevor er fortfuhr.
Einer aus unserer Gruppe hat sich gebückt und dem Hund die Hand hingehalten. Der Hund hat den Kopf gehoben und ganz vorsichtig ein paar Schritte auf ihn zu gemacht. Als er nahe genug herangekommen war, hat mein Freund ihn am Kopf gepackt und hochgehoben. Der Hund hat gestrampelt und gezappelt, und alle konnten sehen, dass er Schmerzen hatte. Er war so schwach, dass er nicht einmal bellen konnte. Er hat es versucht, aber es kam bloà ein verängstigtes Winseln dabei heraus.
Garcia reckte umständlich den Nacken, als kämpfe er gegen eine beginnende Migräne an.
Ich habe meinem Freund gesagt, er soll den Hund laufen lassen. Aber der Rest der Gruppe hat ihn immer weiter angestachelt â »Zeigâs dem Köter, schlitz ihn auf, den alten Sack Flöhe!« Ich habe nicht mal gesehen, woher das Messer kam. Alles, was ich weiÃ, ist, dass mein Freund plötzlich ein Hackmesser in der Hand hatte.
Garcias Blick wanderte kurz zu Hunter. Dieser hörte aufmerksam zu.
Die anderen schrien: »Mach schon! Zeigâs ihm!«, und er hob den winselnden Hund hoch in die Luft. Die Augen des Tiers waren so voller Angst. Ich wusste, was gleich passieren würde.
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