Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
Vom Netzwerk:
Vater-Sohn-Hierarchie-Schiene.
    »Ist doch egal«, sagte Otto. Der kleine Sauhund plapperte irgendeine entlastende Kita-Floskel nach, womit Martins moralischer Angriff ins Leere lief.
    »Du bekommst keine neuen Playmobil-Figuren mehr«, sagte Martin. Attacke! Unverhohlene Drohung. Macht ausspielen. Jetzt du, mein Sohn.
    »Dann klaue ich eben welche bei Matteo-Tyler oder Josef.« Martin gab auf. Schweigend verließ er das Zimmer. Beim Hinausgehen knurschte etwas unter seinem Schuh - er hatte ein Playmobil-Männchen zu Mus getreten. Unglaublich, wie viel zerstörerische Kraft ein handgewalkter Filzpantoffel entwickeln konnte. Otto sah den Schaden und begann zu heulen. Norbert erwachte und greinte gleich solidarisch mit. Martin konnte ein Gefühl tiefer Befriedigung nicht unterdrücken. Er drehte den Fuß langsam auf dem Männchen hin und her, so als ob er eine Kippe austreten würde. Dann kickte er den Plastikmüll wortlos unters Kinderbett. Otto war fassungslos.

    »Nimm mal die Rufumleitung raus!«, hörte Maik den Kollegen aus dem Nachbarbüro rufen. Ulrike war am Apparat: »Ich wollte dir nur einen wunderschönen Tag wünschen! Was machst du gerade?« »Viel Arbeit«, antwortete Maik knapp. Er hatte soeben schon den Verlust seines Handys angezeigt und seine SIM-Karte sperren lassen. Er wollte auf gar keinen Fall noch mal diese Thai-Bar aufsuchen, um nach dem Gerät zu fahnden. Eigentlich war es auch ganz angenehm ohne Handy. Er hatte eine uralte Keule von Mobiltelefon reaktiviert, groß, klobig, aber funktionstüchtig.
    Maik saß am Rechner und skizzierte einen japanisch anmutenden Steingarten. Seine geraden Linien waren wieder im Kommen. Die Entwürfe, die so wunderbar komplex aussahen, gingen ihm blitzschnell von der Hand. Die Kunst bestand darin, die eigene Arbeit zu inszenieren. Man durfte nie sagen, dass es schnell und einfach ging, sondern musste stets betonen, wie viele unglaubliche Hürden zu nehmen waren, wie anstrengend, ja fast unmöglich die Aufgabe war.
    Lehmann war noch nicht aufgetaucht. Maik musste mit ihm reden, sofort. Denn Lehmann hatte ihn in der Hand. Er wusste als Einziger, was wirklich passiert war. Maik war die Thai-Nummer unendlich peinlich. Er hatte noch nie in seinem Leben für Sex bezahlt. Warum auch? War ja überall umsonst zu haben.
    Es gab zwei Sorten von Männern: die Ratten und die Wölfe. Lehmann war eine Ratte. Klar: Wer sich das Selbstbewusstsein von einer Organisation leihen muss, ganz egal ob Betriebsrat, Fußballklub oder Schützenverein, der war völlig anders sozialisiert als ein Wolf. Ratten hatten gelernt, sich ihrer Organisation vollständig anzupassen. Dem Aufstieg in dieser Hierarchie ordneten sie alles andere unter.

    Lehmann wollte Maik in den Betriebsrat quatschen, um seine eigene Position zu verbessern, und nicht, weil er Maik so nett fand. Durch die Thai-Aktion hatte Lehmann Maik nun in der Hand, und er wusste das. Maik könnte den einfachen Weg gehen und einfach mitmachen im Betriebsrat. Dort waren die üblichen Funktionärsmurkel zugange. Er wäre der Exot, dem sie womöglich mal zuhören würden. Aber es würde Zeit kosten und eine Menge Nerven. Maik glaubte nicht an Betriebsräte. Er glaubte an Wölfe, starke, autonome Wesen, die ihr eigenes Revier verteidigten und sich mit anderen starken Wölfen arrangierten. Miteinander war das Ergebnis von Gegeneinander plus Respekt, ganz gleich, ob zwischen Mann und Frau oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
    »Er glaubte an Wölfe, starke, autonome Wesen, die ihr eigenes Revier verteidigten und sich mit anderen starken Wölfen arrangierten. Miteinander war das Ergebnis von Gegeneinander plus Respekt, ganz gleich, ob zwischen Mann und Frau oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer.«
    Lehmann hatte hinter seinem Schreibtisch einen vergilbten Zeitungsausriss gepinnt, Text: »Die Ehe fordert eine Gewährung in ehelicher Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit zur Schau zu tragen.« So begründete der Bundesgerichtshof im Jahre 1957 die eheliche Pflicht zum
Sex. Ein Mann hatte gegen seine offenbar lustlose Frau geklagt.
    Maik wusste bis heute nicht, was Lehmann mit dem Zettel sagen wollte: Dass Frauen frigide sind? Dass Männer Rechte haben? Aber wer will schon eingeklagten Sex? Dann lieber gar keinen. Oder überraschenden. So wie heute Morgen mit Ulrike. Da hatte sie mal keine Gleichgültigkeit zur Schau getragen, wie sonst fast durchgängig in den letzten Jahren. Vielleicht sollte er sich ab sofort jede Nacht überfallen

Weitere Kostenlose Bücher