Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
Fell, durch das wir gekommen waren. Jetzt erschien mir der kalte Strahl des Wasserfalls wie eine Erlösung. Ich sprang schreiend darunter umher und genoss die Abkühlung. Wir gingen in die dahinter liegende Felsenkammer mit den Felllagern und ruhten uns aus. Auch die anderen Schamanen erschienen und ließen sich vor Behagen stöhnend nieder.
Dann wiederholten wir die ganze Prozedur ein zweites Mal. Danach meinte Ojun, jetzt wäre es an der Zeit, die verlorene Flüssigkeit wieder aufzufüllen. Womit er nicht nur bei mir begeisterte Zustimmung auslöste.
Wir zogen uns an und wanderten hinab zu Homöopatha. Sie stand hinter einem Trinkfelsen und hielt wassergefüllte Auerochsentrinkhörner bereit. Das Wasser schmeckte ausgezeichnet. Ich bemerkte, dass Blätter der Zitronenmelisse darauf herumschwammen. Ich leerte ein halbes Horn auf einen Zug, bevor ich mich verschluckte. Ein schrecklicher Hustenanfall drohte mich zu ersticken. Doch Ojun, der neben mir saß, klopfte mir beruhigend auf die Schulter und riet mir den linken Arm hochzuhalten, um den Husten loszuwerden. Es half sofort. Er war wirklich ein guter Schamane.
Die anderen Schamanen hatten mich lachend beobachtet.
»Ich glaube er braucht einen heilenden Trunk«, dröhnte der mit der tiefen Stimme.
»Das können wir jetzt alle brauchen«, mischte sich die zitternde Stimme des dürren Alten ein. Ojun nickte Homöopatha auffordernd zu. Darauf verschwand diese in einer kleinen Höhlenöffnung in der Wand hinter dem Trinkfelsen. Nach kurzer Zeit kehrte sie mit einer großen flachen Steinplatte zurück, die aus dem gleichen Material war, wie der Spielstein den ich bei Ojun gesehen hatte. Auf der Platte standen in Tonfüße eingelassene Schalen halber Kranicheier. Sie stellte vor jeden von uns eine dieser halben Kranicheierschalen. Sie waren mit einer klaren, zart gelben Flüssigkeit gefüllt. Wir hoben die Eierschalen dem Mond zum Gruß entgegen und ließen dann, wie es die gute Sitte gebot, ein paar Tropfen der Flüssigkeit als Opfer zur Erde fallen.
»Großes altes Mammut«, sprach dann der Alte mit der Greisenstimme. »Wir danken dir für diesen Tag. Wir danken dir für diesen Trunk. Wir danken dir, dass du uns diesen Nachfahren des Od gesandt hast und heißen ihn willkommen. Jetzt aber lasst uns trinken. Alles mit einem Schluck!«
Wir kippten den Inhalt der Schalen in uns hinein - und ich bekam den zweiten Erstickungsanfall an diesem Abend. Zuerst brannte dieses Zeug wie Feuer in der Kehle. Dann schlug es wie eine Keule im Magen ein. Doch als ich gerade glaubte keine Luft mehr zu bekommen, stieg wohlige Wärme in mir auf.
»Was ist das?«, fragte ich den alles wissenden Ojun.
Der blickte erst den Alten mit der Greisenstimme und dann Homöopatha an. Als beide nickten, sagte er: »Es ist gegorener Wurzelsaft. Wir nehmen die Wurzeln der blauen Blumen von den Bergwiesen dazu. Er ist sehr gesund, wenn du nur eine Eierschale voll davon am Tag trinkst. Er hilft gegen viele Leiden. Nur den, der zu viel davon trinkt, den macht er krank.«
Die Schamanen unterhielten sich über ihre Heilerfolge und Visionen, die sie in der Vergangenheit auf ihren Reisen mithilfe des Pilzes gemacht hatten. Der Sinn ihrer Worte ging an meinen Ohren vorbei. Die Erinnerung an die tanzenden Weiber stellte sich ein. Besonders die Erinnerung an diese eine, schmale Gestalt, begann mich zu beherrschen. Ich sah mich um.
Die Weiber saßen jetzt dicht zusammengedrängt, eifrig tuschelnd und an Fellstücken nähend neben dem Feuer, an dem sie zuvor getanzt hatten. Sie waren noch alle da. Nur die eine fehlte.
»Möchtest du eine, die dir Heilung im zweiten Bereich widerfahren lässt?«, fragte der immer aufmerksame Ojun. Du brauchst nur hinzugehen und dir eine auszusuchen. Sie warten schon darauf.«
»Eine fehlt«, sagte ich.
»Ach ja. Yrsig ist nicht dabei. Die will sowieso keiner. Sie ist zu dünn. Nur der falsche Schamane ist hinter ihr her. Aber der will sie auf sein Felllager zerren. Keiner weiß warum.«
Er zuckte die Achseln, während in mir eine plötzliche Wut aufkeimte. Aus irgendeinem Grund hasste ich diesen falschen Schamanen, von dem ich gerade zum ersten Mal hörte.
Homöopatha beugte sich über den Trinkfelsen. »Yrsig ist im Wald und sammelt Mistelzweige. Du kannst sie suchen gehen, wenn du willst. Sie ist bestimmt nicht weit. Wahrscheinlich findest du sie auf der Lichtung. Du brauchst nur dem Rentierpfad zu folgen.« Sie deutete auf einen dunklen Durchschlupf am
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