Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
Waldrand.
Ich erhob mich und schlenderte auf den Wald zu. Das heißt, genau genommen schlingerte ich die ersten Schritte auf den Wald zu und das Gelächter der Schamanen hinter mir sagte mir, dass dies nicht unbemerkt geblieben war.
Der Weg zum Waldrand war nicht weit. Ich trat zwischen die Bäume. Die Geräusche hinter mir verstummten. Ich wartete bis meine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten. Dann schlich ich auf dem schmalen Pfad vorwärts. Nach einer Weile hörte ich den leisen Gesang einer Frauenstimme. Ich folgte dem lieblichen Klang der weichen Stimme bis zu einer Lichtung. Dort bewegte sich eine elfenhaft zierliche Gestalt vom Mondlicht umflossen, mit langem wehendem silbrig glänzendem Haar und ausgebreiteten Armen, wie ein Geistwesen in einem langsam dahin gleitenden Tanz. Sie sang dazu eine leise gleichförmige Weise. Ich hielt verzaubert an. Du warst das, Yrsig, die dort mit geschlossenen Augen, der Gegenwart entrückt leichtfüßig über den Rasen schwebtest. Ich wagte nicht zu atmen, um die Anmut dieses Anblicks nicht zu stören. Ich sog dies Bild tief in mich hinein und bewahrte es in meinem Herzen. Durch meinen ganzen Leib zog ein Sehnen, wie eine sich empor windende Schlange, die sich über meinem Scheitel mit meiner Seele verband und zu dir, Yrsig, hinübersprang, um eins zu werden, mit dem verlorenen Stück meiner Seele. Wie betäubt stand ich da. Dann schlich ich mich vorsichtig wieder aus dem Wald und ging zurück zu den Anderen.
»Ich hab' s doch gesagt. Sie ist zu dünn.« Der Dicke mit der tiefen Stimme schlug mir auf die Schulter. »Hier trink noch einen.« Er schob mir eine halbvolle Eierschale zu. »Und dann lass dich von einem richtigen Weib behandeln.«
Ich schüttete den Wurzelsaft in mich hinein. Yrsigs Bild und die Welt um mich herum verschwanden vor meinen Augen. Ich fühle mich sehr stark und lachte mit den Schamanen und tat, was sie vorschlugen. Ich wankte zu den Weibern, deren Anblick vor meinen Augen verschwamm. Sie unterbrachen ihre Näharbeiten und lächelten mich an. Ich deutete wahllos auf eine von ihnen. Sie reichte mir ihre Hand und ich zog sie hoch. Dann lief sie kichernd an mich geschmiegt zu einer der kleinen Höhlen.
Das Dorf
Als ich erwachte, fand ich mich unter einem Haufen Fellen vor dem Trinkfelsen wieder. Die Sonne blendete mich, als ich die Augen öffnete. Homöopatha und Ojun standen über mir und blickten lächelnd auf mich herab.
»Wie fühlst du dich?« Ojun führte das Wort.
Ich strampelte mich von den Fellen frei und ging der Frage nach. Ich fühlte mich entspannt und locker. Ich prüfte alle Bereiche meines Körpers und konnte keinen Schaden feststellen. Nur im Rücken in der Lendengegend, gegenüber dem zweiten Bereich bohrte ein leichter Schmerz und meine Kehle war trocken wie ausgedörrt.
Homöopatha brachte mir einen Becher aus gebranntem Ton, der mit Wasser gefüllt war. Ojun hockte sich neben mich.
»Du hast die Weiber, die Heilung durch Heilen suchen, in Erstaunen versetzt«, berichtete er. Ich wusste nicht, was er meinte.
»Du hast dreimal nach Heilung im zweiten Bereich verlangt, bevor du eingeschlafen bist.« Er stieß mir die Faust anerkennend vor die Brust, als er meine Unwissenheit bemerkte. »Ja, ja, der Wurzelsaft. Er tötet das Gedächtnis in uns und erweckt ungeahnte Kräfte. Du musst vorsichtig damit umgehen.«
Ich durchforschte die Bilder der letzten Nacht in meinem Kopf. Das letzte Bild zeigte mich hinter dem prallen Hintern eines Weibes auf dem Weg zu einer der kleinen Höhlen. Danach war da nur ein dunkles Loch. Aus diesem Loch hervor strahlte plötzlich das Gesicht eines wunderschönen blassen Mädchen, das mit geschlossenen Augen im Mondlicht tanzte. Ich sah wieder dein Antlitz vor mir, Yrsig, und Sehnsucht erfüllte mich. Wo warst du? Ich sah mich auf dem Platz um. Weder von den Weibern noch von den Schamanen war etwas zu sehen. Nur Homöopatha und Ojun waren hier.
»Wo sind die Schamanen?«
»Sie sind im Morgengrauen aufgebrochen. Sie wohnen jeder bei einer der Ansiedlungen, die weit zerstreut in der Gegend liegen. Es ist ein gutes Land hier. Wir wandern nicht viel herum. Es gibt genug Wild, Nüsse und große Gräser. Die Flüsse und Bäche sind voller Fische und Schalentiere. Fast jeder Ort hat seinen eigenen Schamanen.«
»Und die Weiber?« Ich hoffte, etwas über Yrsigs Aufenthalt zu erfahren.
Ojun lachte.
»Die Weiber schlafen. Sie liegen oben in der Schlafhöhle. Schließlich war es eine
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